Querverweis: »Ressentiments«
6. Januar 2019Auf Soziopolis lässt sich seit einigen Wochen ein Text von Cornelia Koppetsch abrufen, der sich – u.a. ausgehend von Büchern von Francis Fukuyama sowie Mark Lilla – in lesenswerter Weise mit dem Thema Ressentiments auseinandersetzt:
»[…] Ressentiments erwachsen also aus der Diskrepanz zwischen gefühlten Anrechten und faktischen Positionen. Das ist auch der Grund, warum sie mit höherer Wahrscheinlichkeit in gesellschaftlichen Umbruchphasen auftreten, in denen das Schichtungsgefüge und damit auch das System von Anrechten und Privilegien durcheinander gewirbelt werden […]. Die Betroffenen gewinnen den Eindruck, dass bislang für selbstverständlich gehaltene Gerechtigkeitsnormen außer Kraft gesetzt werden und drohen, nicht nur das Spiel zu verlassen, sondern im Extremfall auch noch den Spieltisch umzuschmeißen.
[…] Ressentiments zeichnen sich – im Unterschied zu Gefühlen wie Neid, Unterlegenheit oder Unsicherheit – nicht zuletzt dadurch aus, dass ihre Träger die Verantwortung für die eigene, als nachteilig empfundene Situation nicht sich selbst, sondern anderen zurechnen. Das Leiden an der persönlichen Niederlage erhält eine moralische Nobilitierung, da diese nun nicht mehr als Folge individuellen Versagens, sondern als ein ins Prinzipielle gehobenes moralisches Unrecht wahrgenommen wird. Im Zentrum steht das Gefühl des Betrogen-worden-seins, das Gefühl, nicht das zu bekommen, was man aufgrund seiner Fähigkeiten und Leistungen verdient hätte – und zwar deshalb, weil andere illegitime Vorteile genießen.
[…] Aus der Erfahrung der sozialen Kränkung speist sich bei vielen Betroffenen oftmals auch der Wunsch, das empfundene Leid an andere, machtunterlegene Außenseitergruppen weiterzureichen […]. Auch aus diesem Grund ist der Verweis auf die in rechten Kreisen für wichtig erachtete Eigenschaft, ein ›richtiger‹ Deutscher respektive Amerikaner zu sein, zu einem zentralen Instrument der Selbstbehauptung geworden, das in manchen Milieus die Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft oder zur politischen Linken als zentrales Element des eigenen Selbstverständnisses abgelöst hat. Der Rückzug des gesellschaftlichen Denkens und der politischen Lebensentwürfe wird die schon jetzt zu beobachtende Ersetzung sozialer durch ethnische Kategorien weiter forcieren. […] Schon das inzwischen wieder häufiger zu hörende Gerede von der ›deutschen Leitkultur‹ setzt die Existenz einer relativ homogenen Nationalkultur ganz selbstverständlich voraus […].
Daran wird sichtbar, dass sich die Kultur sozialer Ungleichheiten grundlegend verändert hat. Der zentrale Unterschied zwischen der nationalstaatlich verankerten industriellen und der im globalen Rahmen entfalteten postindustriellen Gesellschaft besteht – anders als von den Theoretikern der Singularisierung und Individualisierung zumeist behauptet – nicht in der Auflösung jeglicher Kollektivbindungen, sondern in deren Tribalisierung, ihrer Reduktion auf kleine und kleinste soziale Gemeinschaften […]. Dadurch werden diejenigen, die durch diese Sphäre geschützt sind, von denjenigen getrennt, die sich außerhalb befinden.«