Digitale Medien und Wirklichkeit (Springer essential)

7. November 2023

In der Reihe Springer essentials ist in diesen Tagen der Band »Digitale Medien und Wirklichkeit. Eine aktuelle Einführung in den operativen Konstruktivismus« erschienen, der auf knapp 40 Seiten in die erkenntnistheoretischen Grundlagen von Niklas Luhmanns Soziologie einführt und diese auf den gegenwärtigen Medienwandel bezieht. Die Perspektive des operativen Konstruktivismus steht dabei dem Eindruck eines disruptiven Umbruchs in kurzer Frist entgegen und kann insofern als eine instruktive Ergänzung zu der Flut an kurzfristigen Zeitdiagnosen im Diskurs um die Digitalisierung gelesen werden. Das Abstract:

Dieser Band führt in Niklas Luhmanns erkenntnistheoretische Perspektive des operativen Konstruktivismus ein und diskutiert auf dieser Grundlage das Zusammenspiel von Massenmedien, Many-to-Many-Kommunikation und publizistischen Angeboten im Social Web in der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion.

Wie bildet sich in der digitalisierten Gesellschaft, in der das Nebeneinander unterschiedlicher Sichtweisen zur Alltagserfahrung wird, eine gemeinsame Gegenwartsbeschreibung heraus? Welche Chancen und Herausforderungen bieten sich für die Integration neuartiger Standpunkte? Wie wirken Prozesse sozialer Komplexitätsreduktion und algorithmische Selektionsmechanismen ineinander?


Skript: Kurze Einführung in den operativen Konstruktivismus

31. März 2022

Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme irritiert seit Generationen Studierende aller sozialwissenschaftlichen Fachbereiche und ruft im soziologischen Alltagsgeschäft unter Forschenden abweichender Provenienz regelmäßig eingespielte Abwehrreaktionen hervor, die sich vor allem anderen auf die theoriefundamentale Entscheidung beziehen, »den Menschen als Teil der Umwelt der Gesellschaft« anzusehen (Luhmann 1984: 228f.). Dieses Skript will sich nicht an den damit verknüpften innerdisziplinären Debatten beteiligen, die durch zahlreiche Vermittlungsversuche zwischen handlungs- und systemtheoretischen Perspektiven und mehr oder minder belastbare Weiterentwicklungen durch Schülerinnen und Schüler Luhmanns bzw. neuerliche Vertreter seiner Gesellschaftstheorie geprägt sind.

Vielmehr geht es an dieser Stelle darum, mit dem operativen Konstruktivismus in eine grundlegende Denkfigur der Theorie sozialer Systeme einzuführen, die Luhmanns Soziologie im Kern als ein Theorie gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion ausweist und vielfältige Erklärungspotenziale für die Analyse der digitalisierten Gesellschaft bereithält. Denn: Ein zentraler Bezugspunkt Luhmanns bestand in der Kontingenz aller Erkenntnis und der Pluralität divergent ausgerichteter Wirklichkeitssichten in einer polykontexturalen Weltgesellschaft, die von Ungleichheit und Ungleichzeitigkeit geprägt ist. Und an dieser Diagnose hat sich im Zeitalter von Social Media, Big Data und algorithmischer Selektion nichts geändert – im Gegenteil. 

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Kurz notiert: Luhmann@Risiko

3. Mai 2020

In einem Interview aus dem Jahr 1989 (im Video ab ca. Min. 35.44) äußerte sich Niklas Luhmann wie folgt zu (politischen) Entscheidungen in Risikosituationen:

»In welches Funktionssystem man immer schaut, die Probleme des Risikos nehmen eine andere Färbung an – aber letztlich geht alle darauf zurück, dass wir sehr viel mehr entscheiden, sehr viel mehr bewirken und damit eine sehr viel unsicherere Zukunft erzeugen können.

Ich stelle mir vor, dass in der momentanen Situation doch die Frage immer wieder auf die Politik zuläuft und dass wir den liberalen Verfassungsstaat ebenso wie den sozialen Wohlfahrtsstaat unter ganz neue politische Anforderungen stellen, wenn wir sagen: Ihr müsst zwischen notwendigen Risiken und Betroffenheiten balancieren und sozusagen das Risiko einer politischen Entscheidung übernehmen, dem einen weh zu tun oder dem anderen – aber nicht gleichsam das Volkswohl insgesamt anzuheben und allen etwas Gutes zu tun.

Das ist eine andere Situation als die Freiheitskonzepte des liberalen Verfassungsstaates, die davon immer ausgingen, dass man frei handeln könne ohne anderen zu schaden – diesen Fall gibt es nicht, die ganze Prämisse des liberalen Verfassungsstaates ist weg, das gibt es unter Risikoaspekten nicht: Immer schadet möglicherweise ein Verhalten anderen. Und auch der Wohlfahrtsstaat, in dem es einfach immer nur um die Verteilung von guten Dingen ging, ist irreal angesichts der Risikosituation. Das heißt nicht, dass diese Einrichtungen abgeschafft werden könnten, aber es kommen neue Probleme auf die Politik zu und es ist ein Test für Demokratie in gewisser Weise, ob wir das schaffen.«

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Kurz notiert: Protest and Societal Irritation in the Internet Age

28. Mai 2019

Das Sonderheft der ÖZS zum Thema »Digitalization and Society« ist erschienen. Mit dabei: Der Beitrag »Digital Deceleration. Protest and Societal Irritation in the Internet Age« von Marc Mölders und mir.

Our article examines new potentials for systemic irritation in the Internet age and focuses on the processes of synchronization between media, politics, and law. […] the search for and the design of opportune forms of irritation remains a complex organizational process. To irritate other societal contexts effectively, civil counter forces exercise self-control particularly regarding temporality, retarding their operations according to the operational speed of the addressed meaning systems. This deliberate deceleration in operational timing is considerably facilitated by digital technologies. In the final chapter, we contextualize our empirical findings within a broader evolutionary perspective on social reality construction.


Über Sichtbarkeit in der Plattformöffentlichkeit

20. März 2019

Auf Soziopolis ist ein kompaktes Essay zum Thema »Sichtbarkeit in der Plattformöffentlichkeit« erschienen:

Intermediäre Plattformstrukturen sind im Medienbereich kein exklusives Phänomen der Gegenwart. Mit der Verbreitung der Telegrafie entstanden im 19. Jahrhundert die ersten Nachrichtenagenturen, die Meldungen sammeln, verarbeiten und an Einzelmedien vermitteln; zur selben Zeit gründeten sich im Buchhandel die ersten Barsortimente als logistische Verbindungsglieder zwischen Verlagen und Detailhändlern; in nicht wenigen Belangen lassen sich auch Zeitungen als vermittelnde Plattformen zwischen Journalisten, Agenturen, Werbekunden, Vertriebsdienstleistern und Lesern beschreiben.

Erst mit der Etablierung des Internets und alltagstauglicher (mobiler) Endgeräte allerdings sehen sich Rezipienten in der Lage, unabhängig von Ort und Zeit auf die jeweilige Plattform zuzugreifen und die dort angebotenen Inhalte mit algorithmischen Hilfsmitteln selbsttätig zu selegieren – ebenso wie sich heute prinzipiell alle entsprechenden Nutzungsdynamiken sammeln und auswerten lassen. Dadurch tritt zum einen die Plattform als Koordinationsmuster in den Vordergrund gesellschaftlicher Wahrnehmung. Zum anderen gehen mit dieser Plattformisierung einschneidende Verschiebungen in den medienökonomischen Akteurskonstellationen wie auch in den Bedingungen für die zivilgesellschaftliche Herstellung öffentlicher Sichtbarkeit einher, die im Fokus dieses Textes stehen.

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