Querverweis: »Oszillation 4.0« (Baecker 2016)
12. März 2016Dem derzeitigen ›4.0‹-Trend folgend hat Dirk Baecker unlängst in seinem lesens- wie diskussionswerten Essay »Oszillation 4.0« (auf dem jungen sozialwissenschaftlichen Nachrichtenportal Soziopolis) die Mediengeschichte neu aufgerollt und – wie der Titel schon sagt – entlang des Begriffs der ›Oszillation‹ in 4 Phasen gegliedert:
»Überlebenswichtig wird die Fähigkeit zur Oszillation für die menschliche Gesellschaft in dem Moment, in dem die Sprache auftritt: Oszillation 1.0. Ludwig Wittgenstein hat […] nur die eine Seite der Sprachspiele benannt, in denen wir den Gebrauch der Worte aus ihrem Gebrauch erlernen. Die andere Seite besteht darin, herauszufinden, was Worte nicht bedeuten und wann bestimmte Worte nicht zu benutzen sind. […] Noch wichtiger jedoch ist eine Oszillation, auf die Terrence W. Deacon aufmerksam gemacht hat […]. Sprachen […] setzen zum einen eine Beherrschung des Referenzproblems voraus, das heißt die Fähigkeit, ein Wort nicht mit der Sache zu verwechseln, die es bezeichnet. Und sie setzen zum anderen voraus, Symbole von anderen Symbolen unterscheiden und aus diesem Unterschied heraus sowohl bestimmen als auch befragen zu können. […]
[…] Oszillation 2.0 […]. Mit der Einführung der Schrift und der Ausdifferenzierung der antiken Hochkultur explodieren die Zeithorizonte der Gesellschaft. Man erinnert sich nicht mehr nur an die Ahnen und eine mehr oder minder unmittelbare Vergangenheit, noch erwartet man nur die ewige Wiederkehr des Gleichen. Stattdessen wird die Gesellschaft historisch beziehungsweise ›heiß‹, wie Claude Lévi-Strauss gesagt hat, indem sie von einem Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft ausgeht, Sachverhalte für die künftige Erinnerung festhält und Sachverhalte für die spätere Erinnerung wieder aufgreift. […]
[…] Mit dem Buchdruck und damit der modernen Gesellschaft werden die Oszillationen unüberschaubar. Die alten Oszillationen im Umgang mit der Wahrnehmung, der Sprache und der Schrift bleiben bestehen, doch darüber legt sich eine weitere Undurchschaubarkeit, die von der Vermehrung und Verallgemeinerung jener kritischen Meinungen ausgeht, die das Ergebnis einer Alphabetisierung sind. […] Oszillation 3.0 schwankt zwischen Gleichgewicht und Störung. […] Undurchschaubar ist jetzt die Gesellschaft selber. Sie wird als funktional geordnet beschrieben, […] so als stelle man sich eine Gesellschaft wie eine gut katalogisierte Bibliothek vor. […] Aber damit wird zugleich der Eindruck festgehalten, dass das, was funktioniert, auf eigensinnige Art und Weise funktioniert […].
Und nun kommen die Maschinen der Datenverarbeitung […]. Die Oszillation 4.0 bekommt es im Wortsinn mit undurchschaubaren Maschinen zu tun. Letztere, Luhmann fiel das zuallererst auf, beteiligen sich an Kommunikation, wie es bislang nur dem menschlichen Bewusstsein möglich war. Freilich merkt das nur, wer einen für die Teilnahme komplexer Einheiten entsprechend offenen Kommunikationsbegriff pflegt. […] Die Oszillation, um die es jetzt geht, dreht sich im Wortsinn um Kontrolle, das heißt um die Frage, wessen Gedächtnis für die Sequenzierung von Kommunikation strukturreicher und daher tragfähiger, belastbarer und ausschlaggebender ist – das Gedächtnis der Maschinen mit ihren Speichern oder das Gedächtnis der Menschen in ihren sozialen Zusammenhängen. […]«