Luhmann: »Intellektueller Schrotthandel«

12. Dezember 2011

Seit mindestens vier Jahrzehnten lässt sich der Eindruck gewinnen, dass unsere Gesellschaft in einem immer rascheren Takt von (technischen) Innovationen überrollt wird (vgl. schon Beinhauer & Schmacke 1971), die kaum ›einen Stein auf dem anderen‹ lassen. Und natürlich haben z.B. neue Medien in vielen Fällen weitreichende Auswirkungen; in genauso vielen Fällen aber provozieren sie Beschreibungsmythen, übersteigerte Hoffnungen oder markerschütternde Dystopien.

Niklas Luhmann (u.a. Soziologe, HumoristZukunftsforscher) bezeichnete u.a. derartige Überzeichnungen, die sich auch in der Wissenschaft finden lassen, als

»intellektuelle[n] Schrotthandel, der […] seine Bedarfsartikel nur noch durch die Firmennamen ›Neo‹ und ›Post‹ unterscheidet. Man kann in dieser Form zum Beispiel über die ›postindustrielle‹ Gesellschaft reden, obwohl ganz offensichtlich industrielle Produktion nach wie vor existiert und sogar mehr als zuvor unentbehrlich ist. 

Neomarxismus, Poststrukturalismus, Neofunktionalismus, Neokonservativismus oder mit Sachbezeichnungen: neue soziale Bewegungen, neuer Individualismus, neue Medien. Die Struktur ist in allen Fällen dieselbe: Die Behauptung einer zeitlichen Differenz und ihr Nachweis an Einzelphänomenen erlaubt es, ohne Gesamtanalyse weiterzuarbeiten und das gerade Neue (oder das, was dafür gehalten wird) als Wesentlichkeitsersatz in den Mittelpunkt der Gesellschaftsbeschreibung zu rücken.«

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Querverweis: »Aufzug zum Internet«

1. Dezember 2011

Am 24./25. November fand in Stuttgart die Tagung »Das Internet und der Wandel von Mediensektoren«, die durch die Stuttgarter Organisations- und Innovationssoziologie organisiert wurde und rund 30 thematisch einschlägige SozialwissenschaftlerInnen zusammenbrachte (ein ausführlicher Tagungsbericht folgt in wenigen Wochen).

Was das wiederum mit dem nachstehend abgebildeten (zugegebenermaßen etwas antiquierten) Fahrstuhl zu tun hat, lässt sich in einem Beitrag eines Projektblogs des Hans-Bredow-Instituts (Hamburg) nachlesen, der darüber hinaus auch erste Notizen zu einigen Beiträgen der Tagung bereithält.

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Literaturhinweis: Internet und Politik

15. November 2011

Ulrich Riehm hat in in den TAB-Briefen (herausgegeben vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag) unter dem Titel »Die neuen Kleider der Demokratie. Internet und Politik« (englische Version) einen kondensierenden Artikel zu der Debatte um die sogenannte »Cyberdemokratie« veröffentlicht, die nicht erst seit dem Aufkommen des massenkompatiblen World Wide Web geführt wird.

Darin werden sowohl die technischen und politischen Entwicklungsstränge nachgezeichnet, in deren Kontext sich die Diskussion um digitale Demokratie entwickelt hat, als auch die damit verbundenen Hoffnungen bzw. Ängste sowie deren Wandel rekonstruiert (ausgehend schon von ersten Experimenten in den 1960/70er Jahren). Die Betrachtungen kommen zu folgenden Kernergebnissen:

»Das Internet ist [.] keine Hope- oder Fear-Technologie per se, sondern gestaltete und gestaltbare Technik. Ob beispielsweise eher egalitäre oder hierarchische Kommunikationsformen befördert werden, hängt von der konkreten technischen Implementierung, den jeweiligen Nutzungsweisen und der gesellschaftlichen Einbettung von Internetanwendungen ab […].

Zum Zweiten ist die Bewertung bestimmter Eigenschaften der Cyberdemokratie auch eine Frage der politischen Grundanschauungen und Interessen. Ein Vertreter der direkten Demokratie sieht gegebenenfalls in den Möglichkeiten des E-Votings eher eine Hoffnung, ein Anhänger der repräsentativen Demokratie eher eine Gefahr. Aus der Perspektive eines Bürgers ist die […] direkte Kontaktmöglichkeit […] ein Gewinn, für die Kontaktierten oft nicht mehr als eine zusätzliche Belastung.«


Orientierungsrealitäten (Tagesschau, Wikipedia)

14. November 2011

Vor fast 20 Jahren hat Miriam Meckel am Beispiel der Tagesschau empirisch bestätigt, dass in der massenmedialen Berichterstattung ein sehr selektives Bild der Welt gezeichnet wird: In einem Vergleich der Anteile der Weltregionen an der täglichen Berichterstattung der ARD-Nachrichtensendung stellte Meckel (1994: 296) fest, dass 94% der Berichte auf Entwicklungen in Europa und Nordamerika eingingen, während die anderen Kontinente kaum Erwähnung fanden (Südamerika, Afrika, Asien, Australien: jeweils unter 2%; Nahost: 3,1%) – und der »Tagesschau Nachrichten-Weltatlas« zeigt, dass sich dies daran bis heute nicht viel geändert hat (vgl. auch eine Karte zur ›Weltsicht‹ des britischen Guardians).

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Social Media, Massenmedien und gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion

8. November 2011

Das Berliner Journal für Soziologie 21(3) ist in diesen Tagen erschienen. Darin findet sich auch mein Artikel »Social Media, Massenmedien und gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion«, der einige Positionen aus »Neue Demokratie im Netz?« weiterentwickelt, Kritikpunkte aus den Rezensionen aufgreift und abschließend drei Thesen zur Diskussion stellt, die davon ausgehen, dass Social Media und Massenmedien weniger in einem konkurrierenden, sondern eher in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen:

  • Die moderne Gesellschaft bleibt auf allgemeine Bezugsgrundlagen in der übergreifenden Kommunikation und daher auch auf stabile Auswahl-­ und Verbreitungsleistungen angewiesen, wie sie die Massenmedien bieten.
  • Social Media hingegen effektivieren die Kommunikation in Netzwerken sowie Teilöffentlichkeiten und erweitern so den Pool an Sinnvariationen, aus dem gesamtgesellschaftliche Sinnsysteme wählen können.
  • Vielrezipierte neue Inhaltsanbieter im Web können mit etablierten massenmedialen Anbietern durchaus in Konkurrenz treten. Sie verlieren dann aber zunehmend ihren interaktiven Charakter und werden ebenso zu asymmetrischen Vermittlungsstellen.

Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion

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