Splitter: Digital Markets Act und Digital Services Act – »Die Demokratie ist zurück«?

25. April 2022

Der Digital Markets Act und der Digital Services Act der EU – und damit die ersten ernsthaften übergreifenden Regulierungsmaßnahmen gegenüber Internetplattformen in Europa – sind nun (bald) einsatzbereit und Margrethe Vestager, seit 2014 EU-Kommissarin für Wettbewerb und seit 2019 geschäftsführende Vizepräsidentin und Kommissarin für Digitales, kommentiert: »Die Demokratie ist zurück.«

Grundsätzlich sieht der Journalist Markus Beckedahl, netzpolitischer Aktivist der ersten Stunde, in diesen deutlich verspäteten rechtlich-politischen Reaktionen auf die Marktmacht und Öffentlichkeitsrelevanz weniger großer Internetplattformen und der dahinterstehenden Unternehmen einen Schritt in die richtige Richtung. Er weist in seinem Kommentar zum Digital Services Act allerdings auf manifeste Schwachstellen des Gesetzesvorhabens hin:

»Enttäuschend ist, dass es kein umfängliches Verbot personalisierter Werbung ins Gesetz geschafft hat […]. Jetzt soll ein Verbot personalisierter Werbung wenigstens für Kinder und Jugendliche kommen. […] Bei Erwachsenen wird verboten sein, sensible Daten zur Profilbildung zu nutzen. Das ist besser als nichts, gilt aber nur für Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten. Webseiten mit eigenen Inhalten sind davon ausgenommen. Im Einzelfall muss entschieden werden, wer darunter zählt […]. Dark Patterns zur Manipulierung von Nutzer:innenverhalten sollen ebenso verboten werden. Auch hier kommt es auf die Durchsetzung an […]. Es gibt kein Verbot von automatisierten Filtersystemen zur Inhaltekontrolle.

[…] Die EU-Komission soll im Verbund mit Regulierungsbehörden in den 27 Mitgliedstaaten federführend für die Durchsetzung gegenüber den globalen großen Plattformen sein. […] Bei uns laufen sich die Landesmedienanstalten als nationale Regulierer warm. Die haben zwar mehr Staatsferne auf dem Papier, in der Praxis verfügen sie aber nicht über ausreichend professionelle und technische Ressourcen, um als Regulierungsbehörden auf Augenhöhe die großen Plattformen zu beaufsichtigen. Die Bundesregiegierung wird hier aber letztlich eine Behörde mit der Durchsetzung beauftragen.

[…] Aus der globalen Perpsektive ist es gut, dass die EU jetzt einen Regelsatz vorgibt. Das wäre aber auch schon vor Jahren notwendig gewesen. Ich bin skeptisch, ob die heute vermittelte Rhetorik der Verhandler:innen auch dem gesteckten Ziel entsprechen wird, wirksame Regeln gegen die Macht der großen Plattformen durchzubringen

Bis »die Demokratie« tatsächlich (zumindest in eingeschränkter Form) »zurück« ist, liegt insofern noch ein langer (Umsetzungs-)Weg vor uns – zumal Ulrich Dolata bereits 2020 auf die grundsätzlichen Informations- und Wissensasymmetrien zwischen Politik und Plattformanbietern hingewiesen hat:

»Politische Regulierungsinstanzen wissen grundsätzlich weit weniger über die weitläufigen soziotechnischen Systeme und Systemzusammenhänge, die sie regulativ einhegen sollen, als diejenigen, die diese Systeme entwickelt haben und betreiben. Die Gestaltungs- und Regelungshoheit verbliebe auch in diesem Fall in erster Linie bei den Plattformbetreibern, deren Aktivitäten dann aber immerhin von einer demokratisch legitimierten Instanz regelmäßig evaluiert, kontrolliert und sanktioniert werden könnten.«

Diese ausgesprochen starke Position der Technologieunternehmen, die hinter den populären Kommunikations-, Markt- und Konsumplattformen stehen, speist sich aus lange verschleppten Regulierungsmaßnahmen – aber auch aus der grundsätzlichen Architektur onlinebasierter Plattformen (vgl. unser Diskussionspapier dazu):

»Die für solche Plattform-Architekturen charakteristischen Koordinations-, Kontroll- und Verwertungsmechanismen zeichnen sich durch eine starke hierarchische Ausrichtung aus, in die Elemente der Kooptation und des orchestrierten Mitwirkens der Nutzer eingelagert sind. Die Plattformunternehmen haben in dieser hybriden Konstellation ein hohes Maß an strukturgebender, regelsetzender und kontrollierender Macht – und verfügen überdies über den exklusiven Zugriff auf das dort produzierte Rohmaterial an Daten. Diese Macht äußert sich in vielen Fällen, aber längst nicht immer als rigide Kontrolle, als direktiver Zwang oder einklagbare Rechenschaftspflicht, sondern entfaltet sich für die große Zahl regelkonformer Nutzer weitgehend geräuschlos unter der Oberfläche einer (vermeintlichen) Offenheit, die die Plattformen als Markt- und Sozialräume auch auszeichnet.«


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