US-Studie: »Internet« hat Print als tagesaktuelle Informationsquelle überholt (!?)
19. März 2011Dem State of the News Media Report 2011 zufolge hat das Internet gedruckte Zeitungen in den USA 2010 als tagesaktuelle Informationsquelle überholt: 34% der Befragen hatten am Tage vor der Umfrage aktuelle Nachrichten im Netz abgerufen, aber nur 31% dafür eine Zeitung konsultiert. Die Stellung des Fernsehens als ubiquitäre Informationsquelle bleibt mit 58% aber (noch) relativ unangefochten:
Ganz so weit scheint es in der BRD laut der ACTA 2010 noch nicht zu sein (Print: 45%, Internet 23%), trotzdem aber lohnt es sich, solche Daten, die der medialen Revolutionsrhetorik in regelmäßigen Abständen Nahrung geben, zumindest kurz zu hinterfragen: Was genau lässt sich daraus ableiten, dass »die Zeitung« gegenüber dem »Web« als tagesaktuelle Informationsquelle an Bedeutung verliert? Schon Wau Holland hat 1997 das Internet als Universalmedium beschrieben, in dem sich alle vorhandenen Medienformen widerspiegeln, also auch die Zeitung in ihrer digitalen Form. Letztlich deutet eine Gegenüberstellung von Print und Netz einzig auf den schwindenden Einfluss des Transportmediums Papier zugunsten der Online-Kanäle hin, die allerdings zumindest teilweise genau dieselben Inhalte verbreiten wie die Druckerpressen: Die erfolgreichsten Websites im Alexa-Internet-Ranking etwa sind neben Infrastrukturdiensten, Netzwerkportalen und Service- bzw. Shopping-Angeboten die Online-Derivate klassischer massenmedialer Anbieter – in Deutschland zumeist sogar aus dem Print-Bereich (z.B. Spiegel, Bild). Ein aggregierender Überblick über Untersuchungen zum Nutzungs- und Rezeptionsverhalten führt zudem vor Augen, dass die überwiegende Mehrheit Onliner noch immer auf die News-Angebote etablierter Anbieter zurückgreift, um sich über tagesaktuelle Entwicklungen zu informieren. Die angeführte Grafik ist folglich weit weniger eindeutig als es zunächst den Anschein macht.
Auch ein weiteres Kernergebnis der Studie wird einer differenzierteren Diskussion bedürfen: Professionelle Nachrichtenproduzenten seien im Netz in einem zunehmenden Maße von News-Aggregatoren wie Google News und Diensten wie Facebook oder Twitter abhängig, welche einen wachsenden Anteil an Lesern auf ihre Portale lenke. Darüber hinaus spielten Hard- und Softwarehersteller wie Apple eine immer größere Rolle bei der Inhalte-Verbreitung. Derartige Beobachtungen provozieren Überschriften wie »Medien stehen vor Kontrollverlust« oder »US-Nachrichtenmedien haben ihr Schicksal nicht mehr selbst in der Hand«, ohne zu reflektieren, dass die Printmedien in ihrer klassischen Form ebenso auf wirkungsvolle Mechanismen der Lesergewinnung angewiesen waren (z.B. durch den Abo-Verkauf an der Haustür oder Mund-zu-Mund-Propaganda) und von Unternehmen abhängig waren, die sich um die technische Herstellung der Druckwerke und um deren Verteilung gekümmert haben – oder im Falle eines Druckerstreiks (z.B. New York 1963) hin und wieder auch nicht. Das Bereitstellen von geeigneten Transportmedien haben im Web nun andere Infrastruktur-Dienstleister übernommen (z.B. Apple mit dem iPad und den entsprechenden Apps) und kassieren dafür einen entsprechenden Anteil des Verkaufspreises der jeweiligen Zeitung. Im Prinzip hat sich also nichts Wesentliches geändert. Die Besonderheit an der momentanen Situation ist freilich, dass es in der Offline-Welt nur selten solche globalen Monopolstellungen gab, wie sie derzeit Google, Facebook oder Apple einnehmen.