Betreff: Lehre an Universitäten während der Pandemie

24. März 2021

Im April starten die Universitäten in das dritte digitale Semester dieser Pandemie. Und die Hoffnung, dass es das letzte Semester dieser Art sein wird, schwindet. Anfang des Wintersemesters hatte ich gehofft, dass ich vielleicht schon in den Veranstaltungen im Sommersemester 2021 einige kleinere Austauschrunden in Co-Präsenz anbieten kann. Ende 2020 traten die Mutante B.1.1.7 und weitere Varianten von SARS-CoV-2 auf den Plan – und diese Perspektive war Makulatur. Derzeit hege ich noch die Hoffnung, dass das Wintersemester 2021/22 zumindest wieder teilweise in direkter Face-to-Face-Interaktion stattfinden kann – sofern sich die Impfkampagne beschleunigt und keine weiteren Mutationen auftreten, denen vorhandene Vakzine nicht gewachsen sind. Es erscheint allerdings inzwischen nicht unwahrscheinlich, dass auch im Herbst noch kein regulärer Universitätsbetrieb möglich sein wird.

Für viele Studierende könnte das bedeuten, dass weit über die Hälfte ihres Studiums im digitalen Raum bzw. als De-Facto-Fernstudium verlaufen wird. Abgesehen davon, dass dadurch eine wichtige Lebensphase (das Student*innenleben in seiner ganzen Breite) wegfällt, gehen damit zentrale universitäre Erfahrungsräume verloren.

Auf der einen Seite bieten sich mit der asynchronen digitalen Lehre und mit der technikvermittelten Kommunikation in Videokonferenzen via Zoom, Webex oder BigBlueButton neue örtliche und zeitliche Flexibilitäten sowie veränderte Möglichkeiten zum kooperativen Lernen, die viele Universitäten und Dozent*innen vor der Pandemie ›verschlafen‹ haben und nun mit der durch die Pandemie alternativlos gewordenen Digitalisierung für sich entdeckt haben. Und tatsächlich funktionieren viele Arrangements in der Lehre auch in rein infrastruktureller Hinsicht deutlich besser, als das vor dem ersten digitalen Semester Anfang April 2020 befürchtet wurde.

Auf der anderen Seite gehen damit allerdings vielfältige informelle Austausch- und Kollaborationsmöglichkeiten verloren, die das Studium und seinen Bildungswert substanziell mitbestimmen: Eine Vorlesung bietet ja oft nur einen Anker oder Ausgangspunkt, um danach mit Kommiliton*innen zusammenzustehen oder in die Mensa oder Kneipe zu gehen (und fallweise über die gerade gehörten Inhalte weiter zu diskutieren); kollektiv genutzte Lernumgebungen bieten situative Optionen zur Zusammenarbeit; die Kopräsenz auf dem Campus schließt oft eher zufällige Möglichkeiten zum gemeinsamen (kritischen) Denken oder (hochschul-)politischen Engagement auf. Für all diese Zufälligkeiten gibt es derzeit keinen Raum. Informelle Kommunikation lässt sich im Web nur eingeschränkt provozieren. Dazu kommt: Auch die Kommunikation in Lehrveranstaltungen ist nicht mehr und nicht weniger als technisch vermittelt (mit allen Vor- und Nachteilen). Aus Dozierendensicht etwa macht es einen wesentlichen Unterschied, die Teilnehmer*innen einer Veranstaltung aus der direkten Face-to-Face-Interaktion zu kennen – oder lediglich aus Videokonferenzen (in Wort und Bild; hin und wieder auch nur als Buchstabenkombination).

Warum schreibe ich das? Weil das ein Blog ist. Weil ich den Eindruck habe, dass dieser Aspekt in der öffentlichen Diskussion und politischen Bearbeitung der Pandemie viel zu kurz kommt. Über 2,9 Mio. Studierende waren laut Statistischem Bundesamt im Wintersemester 2020/21 an deutschen Hochschulen immatrikuliert – über 2,9 Mio. Menschen, die sich in einer prägenden Phase ihres Lebens befinden und gemessen an ihrer Zahl viel zu selten Gegenstand medialer Berichterstattung werden (wie jüngst im Spiegel). Weil ich den Eindruck habe, dass es zwar auch bei überstandener Krise keine vollständige Rückkehr zu althergebrachten (und z.T. überkommenen) Lehrformaten geben kann, aber reine digitale Lehre auf Dauer auch keine Lösung ist. Und weil ich den Eindruck habe, dass die Planungszeiträume an Universitäten die Möglichkeit böten, langfristige Strategien im Umgang mit der Pandemie zu entwickeln: Die Lehrplanungen für das Wintersemester 2021/22 beginnen an den meisten Hochschulen spätestens Ende Mai und damit mehr als vier Monate vor der Vorlesungszeit. Genügend Zeit also, um Konzepte zu entwickeln, die auch bei einem ungünstigen Verlauf mehr universitäres Leben vor Ort möglich machen könnten.

Ich vermute, dass solche Konzepte hinter mehr oder minder ›verschlossenen Türen‹ an einzelnen Universitäten bereits entwickelt werden. Gleichwohl müssten diese Überlegungen für mein Empfinden ein höheres Maß an öffentlicher Sichtbarkeit erlangen, in politischen Entscheidungsgremien diskutiert werden sowie Kooperations- und Synergieeffekte aufgeschlossen werden. Jede einzelne Hochschule für sich mag verständlicherweise mit den entsprechenden Teststrategien, Hybridkonzepten und rechtlichen Rahmenbedingungen überfordert sein – eine übergreifende gesellschaftspolitische Kraftanstrengung tut gerade deshalb not. Die Berliner Studierenden-Initiative »Nicht nur Online« bringt es wie folgt auf den Punkt:

»In den Beschlüssen der Bund-Länder Konferenz vom 3. März sucht man das Wort ›Universität‹ vergeblich. Dort geht es um die Öffnung von Fitnessstudios, um die Öffnung der Baumärkte und die Öffnung von Biergärten. Wir Studierenden und die Universitäten aber kommen kein einziges Mal darin vor. […]

Was wir nicht verstehen, ist warum es kein Konzept gibt, warum mit uns nicht gesprochen wird, warum wir in der öffentlichen Debatte so wenig gesehen werden. Wir fordern daher einen Dialog zwischen Politik, Hochschulleitungen und Studierenden über die Gestaltung der kommenden Semester. Darüber hinaus muss die Unsicherheit endlich aufhören. Wir möchten Einbindung und Konzepte und möchten nicht vergessen werden. […]

Es gäbe Möglichkeiten, Hybridformate und kleine Präsenzveranstaltungen umzusetzen. Es gibt bereits Universitäten, deren Erfahrungen und Hygienekonzepte wir uns zu Nutze machen könnten. Der totale Lockdown der Uni war eine angemessene erste Reaktion. Diese Notlösung kann und darf aber kein Dauerzustand bleiben.«

Facebook-Postings der Initiative »Nicht nur Online« vom 17./18.3.2021

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