Splitter: Krise und Kritik im Social Web (CfP)

12. Januar 2023

Zusammen mit der ÖGS-Sektion Technik- und Wissenschaftssoziologie organisiert die DGS-Sektion Wissenschafts- und Technikforschung auf dem diesjährigen Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie im Juli 2023 an der Wirtschaftsuniversität Wien eine Veranstaltung zum Thema »Krise und Kritik im Social Web«. Aus dem Call for Papers:

Die Krisen unserer Zeit spiegeln sich in radikalisierter und polarisierter Form im Social Web wider. Nie zuvor waren politische Konflikte und diskursive Differenzen, soziale Ungleichheiten und globale Ungleichzeitigkeiten, divergente Wirklichkeitssichten, Dynamiken der Selbstvergewisserung und die Abgründe menschlichen Kommunikationsverhaltens sichtbarer als in den soziotechnisch strukturierten Sozialräumen, die digitale Social-Media- und Social-Networking-Plattformen im Internet aufspannen.

Anknüpfend an das Themenpapier des diesjährigen ÖGS-Kongresses fragt diese gemeinsame Sektionsveranstaltung nach dem Verhältnis von Krise und Kritik im Social Web und den empirisch beobachtbaren Konsequenzen für Politik und Öffentlichkeit: Inwiefern befördern die Strukturen des Social Webs eine fortschreitende Polarisierung und Radikalisierung der politischen Krisenkommunikation? Oder sind sie eher ein Surrogat schon zuvor angestoßener Veränderungen im öffentlichen Austausch? Verstärkt sich der Eindruck fortlaufend emergierender Krisenphänomene durch die ubiquitäre Sichtbarkeit von Kritik, Unzufriedenheit und Unvereinbarkeit im Social Web? Wie wirken technische und soziale Strukturierungsleistungen in den dort beobachtbaren Dynamiken der Polarisierung und Radikalisierung ineinander? Wie verändert sich die demokratische Erwägungskultur und Urteilsbildung durch die kontinuierliche Sichtbarkeit von Brüchen und differierenden Weltbildern im Social Web? Gerät die Kritik als Resultat substanzieller Auseinandersetzung selbst in die Krise? In welchem Verhältnis stehen die Sichtbarkeit polarisierter Kritik und Skepsis im Social Web und das Entstehen neuer radikaler Protestformen? Und: Kann die Gesellschaft unter diesen Prämissen überhaupt noch eine als gemeinsam markierte Bezugsgrundlage zur Legitimation politischer Krisenbewältigung herstellen?


Splitter: JIMplus 2022 – Fake News und Hatespeech im Alltag von Jugendlichen

12. Oktober 2022

Im Sommer ist die ergänzende JIMplus-Studie 2022 erschienen. In einer qualitativen (n=36) und quantitativen (n=1060) Untersuchung wurde zwischen April und Juni das Informationsverhalten von Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren in Deutschland sowie ihr Umgang mit Fake News und Hatespeech beobachtet. Drei Kernergebnisse:

  • Tagesaktuelle Nachrichten werden häufig zufällig wahrgenommen, vor allen Dingen über »Gespräche in der Peergroup, gefolgt von algorithmusgesteuerten Vorschlägen (wie z.B. YouTube, TikTok, Instagram) und dem klassischen Fernsehen«. Dabei werden primär Themen als relevant bewertet, die einen Einfluss auf die eigene Lebenswelt haben.
  • Der Wahrheitsgehalt einer Nachricht wird vor allen Dingen danach geprüft, ob andere Quellen auch darüber berichten; »Ignorieren ist die verbreitetste Handlungsstrategie«.
  • Die Mehrheit der Befragten hat schon Hatespeech wahrgenommen (oft »gegen Sexualität der Menschen allgemein«, »dem äußeren Erscheinungsbild einer Person«). Auch Hatespeech »wird im öffentlichen Kontext vor allem ignoriert«.

Digital News Report 2022

28. Juni 2022

Der Reuters Institute Digital News Report 2022 ist erschienen und bietet wie in den Jahren zuvor einen Überblick zur weltweiten Rezeption von Nachrichtenangeboten und Nutzung der unterschiedlichen Medienkanäle in der individuellen Versorgung mit tagesaktuellen Informationen. In Deutschland fand die Erhebung zwischen dem 14. Januar und dem 10. Februar 2022 statt; die Stichprobe ist für Internetnutzende ab 18 Jahren repräsentativ. Hier die wichtigsten Links dazu:

Einige Kernergebnisse für die BRD:

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Plattform-Architekturen: Strukturation und Koordination von Plattformunternehmen im Internet

27. April 2022

Als Vorbote zum 62. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS) mit dem Titel »Internet, Big Data und digitale Plattformen: Politische Ökonomie – Kommunikation – Regulierung« (hg. v. U. Dolata & J.-F. Schrape) ist heute neben der Einführung in das Heft schon einmal unser Artikel »Plattform-Architekturen. Strukturation und Koordination von Plattformunternehmen im Internet« erschienen. Das Abstract liest sich wie folgt:

Das heutige Internet wird durch privatwirtschaftlich betriebene Plattformen der unterschiedlichsten Art geprägt. Dieser Beitrag fragt danach, wie sich die kommerziellen Kommunikations‑, Markt‑, Konsum- und Serviceplattformen als distinkte Unternehmensform fassen lassen. Dazu wird eine basale Unterscheidung zwischen (1) den plattformbetreibenden Unternehmen als organisierenden und strukturierenden Kernen und (2) den ihnen gehörenden Plattformen als mehr oder minder ausgreifenden sozialen Handlungsräumen vorgenommen. Während sich Plattformunternehmen als Organisationen im geradezu klassischen Sinne darstellen lassen, konstituieren die von ihnen betriebenen Internetplattformen soziotechnisch strukturierte Sozial‑, Markt‑, Konsum- oder Serviceräume, in denen soziale Akteure zwar auf der Grundlage detailliert ausgestalteter und technisch eingefasster Regeln, aber zugleich variantenreich und eigenwillig interagieren. Die für die Plattform-Architekturen charakteristischen Koordinations‑, Kontroll- und Verwertungsmechanismen zeichnen sich durch eine starke hierarchische Ausrichtung aus, in die Elemente der Kooptation und des orchestrierten Mitwirkens der Nutzer eingelagert sind. Die Plattformunternehmen haben in dieser hybriden Konstellation ein hohes Maß an strukturgebender, regelsetzender und kontrollierender Macht – und verfügen überdies über den exklusiven Zugriff auf das dort produzierte Rohmaterial an Daten. Diese Macht äußert sich auch, aber längst nicht ausschließlich als rigide Kontrolle, als direktiver Zwang oder einklagbare Rechenschaftspflicht, sondern entfaltet sich für die große Zahl regelkonformer Nutzer weitgehend geräuschlos unter der Oberfläche einer (vermeintlichen) Offenheit, die die Plattformen als Markt- und Sozialräume auch auszeichnet.


Splitter: Digital Markets Act und Digital Services Act – »Die Demokratie ist zurück«?

25. April 2022

Der Digital Markets Act und der Digital Services Act der EU – und damit die ersten ernsthaften übergreifenden Regulierungsmaßnahmen gegenüber Internetplattformen in Europa – sind nun (bald) einsatzbereit und Margrethe Vestager, seit 2014 EU-Kommissarin für Wettbewerb und seit 2019 geschäftsführende Vizepräsidentin und Kommissarin für Digitales, kommentiert: »Die Demokratie ist zurück.«

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Skript: Kurze Einführung in den operativen Konstruktivismus

31. März 2022

Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme irritiert seit Generationen Studierende aller sozialwissenschaftlichen Fachbereiche und ruft im soziologischen Alltagsgeschäft unter Forschenden abweichender Provenienz regelmäßig eingespielte Abwehrreaktionen hervor, die sich vor allem anderen auf die theoriefundamentale Entscheidung beziehen, »den Menschen als Teil der Umwelt der Gesellschaft« anzusehen (Luhmann 1984: 228f.). Dieses Skript will sich nicht an den damit verknüpften innerdisziplinären Debatten beteiligen, die durch zahlreiche Vermittlungsversuche zwischen handlungs- und systemtheoretischen Perspektiven und mehr oder minder belastbare Weiterentwicklungen durch Schülerinnen und Schüler Luhmanns bzw. neuerliche Vertreter seiner Gesellschaftstheorie geprägt sind.

Vielmehr geht es an dieser Stelle darum, mit dem operativen Konstruktivismus in eine grundlegende Denkfigur der Theorie sozialer Systeme einzuführen, die Luhmanns Soziologie im Kern als ein Theorie gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion ausweist und vielfältige Erklärungspotenziale für die Analyse der digitalisierten Gesellschaft bereithält. Denn: Ein zentraler Bezugspunkt Luhmanns bestand in der Kontingenz aller Erkenntnis und der Pluralität divergent ausgerichteter Wirklichkeitssichten in einer polykontexturalen Weltgesellschaft, die von Ungleichheit und Ungleichzeitigkeit geprägt ist. Und an dieser Diagnose hat sich im Zeitalter von Social Media, Big Data und algorithmischer Selektion nichts geändert – im Gegenteil. 

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Querverweis: Innovative Ansätze der Berichterstattung über den Ukrainekrieg

17. März 2022

Das European Journalism Observatory, ein 2004 gegründetes gemeinnütziges Medienrecherche-Institut an der Universität Lugano, hat sich die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine in verschiedenen europäischen Ländern genauer angeschaut und eine Reihe an innovativen Ansätzen und Formaten der digitalen Berichterstattung identifiziert (Überblicksartikel). Vier Beispiele:

  • Großbritannien: Full Fact ist eine Wohltätigkeitsorganisation aus London, die Nachrichten und Inhalte (auch Bildmaterial) auf Social-Media-Plattformen überprüft und korrigiert.
  • Deutschland: Das stiftungsfinanzierte Recherchezentrum Correctiv hat mit dem »Sanktions-Tracker« eine Website geschaffen, die in Form von interaktiven Visualisierungen einen tagesaktuellen Überblick über die gegen Russland verhängte Sanktionen bietet und Hintergrundinformationen bereitstellt.
  • Schweiz: Der News plus-Podcast, der vom SRF und SRG SSR produziert wird, zeichnet sich durch eine interaktive Einbindung des Publikums über Online-Communities, E-Mails- und WhatsApp aus.
  • Polen und Lettland: Das polnische Nachrichtenportal Onet bietet (ebenso wie das öffentlich-rechtliche Radio 1) Nachrichten in ukrainischer Sprache, die neben anderem Informationen für Geflüchtete bereit halten. Auch lettische Medien senden regelmäßig Sonderausgaben und Nachrichten auf ukrainisch.