Literaturhinweis: Ulrich Saxer und Social Media
10. Mai 2013Ulrich Saxer (1931–2012) war einer der einflussreichsten Medien- und Kommunikationswissenschaftler im deutschsprachigen Raum und trug wesentlich zur Entstehung ebendieser Disziplinen bei. Überdies gründete er im Jahr 2000 die Saxer-Stiftung zur Förderung des publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Nachwuchses, in deren Rahmen auch dieses Jahr eine Zukunftswerkstatt (31. Mai 2013, Zürich) stattfindet, die sich diesmal mit der »Organisation und Erforschung von Medienwandel« beschäftigt und neben Medienwissenschaftlern auch Referenten aus der Praxis (z.B. Roger de Weck) begrüßen wird (siehe Programm).
Passend dazu ist vor einigen Wochen der Band »Medien als Institutionen und Organisationen« erschienen, der sich in seinem kostenfrei abrufbaren Einleitungsbeitrag mit der Frage beschäftigt, inweit Saxers Definition von Medien als »komplexe, institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen« im Online-Zeitalter noch zeitgemäß ist.
Medien in Saxers Fassung sind (Künzler et al. 2013: 14)
- »Kommunikationskanäle bzw. Medientechniken, welche Zeichensysteme transportieren, um eine bestimmte Bereitstellungsqualität zu übermitteln;
- Organisationen, die bestimmte Ziele verfolgen und dafür eine bestimmte Organisationsstruktur ausbilden;
- ein komplexes Gefüge von Strukturen, in denen verschiedene Medienorganisationen aufeinander bezogen werden;
- als soziale Institutionen in die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse der Gesellschaft eingebunden; und
- sie haben funktionale und dysfunktionale Wirkungen auf andere Gesellschaftssysteme wie Wirtschaft, Politik oder Kultur […].«
In ihrem einleitenden Beantwortungsversuch bieten die Autoren einen bündigen Überblick über die wesentlichen Kategorisierungen von Medien sowie zu den Feldern Medien als Institutionen und Medien als Organisationen – und bieten so nebenbei auch einen Schnelleinstieg in die Medien- und Kommunikationswissenschaft.
Zunächst stellen Künzler et al. (2013: 15–17) verbreitete Medientypologien bzw. Taxonomien wie z.B. die klassische Unterscheidung nach primären, sekundären, tertiären bzw. (neuerdings auch) quartären Medien vor und markieren die u.a. von Jürgen Habermas und Friedhelm Neidhardt auf den Weg gebrachte Unterscheidung nach Öffentlichkeitsebenen in ihrem Kontext als besonders fruchtbar:
»Eine solche Unterscheidung […] macht deutlich, dass insbesondere Onlinemedien höchst unterschiedliche Formen von Privatheit und Öffentlichkeit herstellen und unterschiedliche Funktionen wahrnehmen (vgl. Jarren/Donges 2011; Künzler/Schade 2009: 81f.). Allerdings überschreiten gerade Social Media Grenzen: Einerseits können sie zur individuellen Kommunikation genutzt werden, andererseits können gewisse ihrer Inhalte von einer großen Öffentlichkeit beachtet und diskutiert werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn diese Inhalte von traditionellen Massenmedien aufgegriffen werden. Social Media kommen damit die wichtige Rolle zu, das Themen- und Meinungsspektrum der massenmedialen Öffentlichkeit zu erweitern (vgl. Schrape 2011: 424f.). Solche Grenzverwischungen […] lassen sich jedoch überhaupt erst auf Grundlage einer Kategorisierung erkennen und empirisch beschreiben.«
Daran anknüpfend diskutieren Künzler et al. (2013: 17–19) einerseits die Institutionalisierung (u.a. die regulative und soziokulturelle Einbettung) der Medien in der Gesellschaft und andererseits deren gesellschaftlichen Effekte als Institutionen (u.a. als handlungsprägende Regel- und Symbolsysteme):
»Der Stellenwert und die Funktionen aller Kommunikationsmedien ergeben sich […] aus einer Kombination von technischen Eigenschaften und gesellschaftlichen Bedingungen. Folglich trifft eines der von Saxer genannten Hauptmerkmale von Medien – dass Medien in der Gesellschaft institutionalisiert sind – nach wie vor […] zu. […] Falls Medien Institutionen sind, passen gesellschaftliche Akteure wie Parteien oder Interessensverbände ihr Verhalten an eine potenzielle Medienberichterstattung an, da sie eine Vorstellung davon haben, wie Medien funktionieren und wie sie wirken. […] Empirische Befunde etwa zur Veränderung von Parteistrukturen haben diese Annahme bestätigt. […] Die Diskussion über sogenannte ›Shitstorms‹ […] oder die verstärkte Präsenz von Politikern in den Social Media lassen darauf schließen, dass auch Onlinemedien zunehmend Merkmale von Institutionen aufweisen.«
Und abschließend werfen Künzler et al. (2013: 19–20) einen Blick auf den Grad an Organisiertheit verschiedener Medienformen und kommen zu dem Schluss, dass »Medien in Form von Organisationen […] nach wie vor das größte Potenzial [besitzen], kommunikative Leistungen für eine funktionierende Demokratie wahrzunehmen«:
»Das Kriterium der Organisation […] ist für publizistische Massenmedien und publizistische Special-Interest-Medien […] – online wie offline – gültig, da deren Inhalte von Redaktionen arbeitsteilig produziert werden. Das Kriterium trifft hingegen auf zahlreiche Onlinemedien […] nicht zu, da deren Inhalte nicht von Organisationen, sondern eher von Einzelpersonen hergestellt werden und sich oftmals an ein spezifisches Publikum oder an Bekannte richten. Allerdings ist für den Betrieb einer Onlineplattform eine Organisation notwendig, wobei es sich in der Regel um große Unternehmen […] oder Stiftungen […] handelt. Diese stellen die technische Infrastruktur zur Verfügung, formulieren Benutzungsregeln und akquirieren die dafür notwendigen finanziellen Mittel.«