Querverweis: »Im Moment […] betreibt die Politik […] den Niedergang der deutschen Universitäten«

24. April 2023

Dirk Baecker hat in Soziopolis einen treffenden Kommentar zum aktuellen Protest gegen die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) verfasst. Darin arbeitet er in den letzten Abschnitten in aller Schärfe die Grundprobleme deutscher Universitäten heraus:

»Im Moment […] betreibt die Politik mehr unwillkürlich als willkürlich den Niedergang der deutschen Universitäten. Niemand wünscht sich ihren Verfall, aber alle schauen dabei zu. […] Man lässt die Verhältnisse entmutigend für sich selbst sprechen, statt eine Entscheidung darüber zu treffen, was man von und an der Universität erwartet und was nicht. […]

Es ist nicht nur das WissZeitVG, das unter falschem Namen segelt. Es ist vielmehr die ganze Universität, die so tut, als sei sie der Ort der Wissenschaft, obwohl ihre primäre Aufgabe […] die Lehre ist. […] Es sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an Universitäten beschäftigt werden, um eine Ausbildung gewährleisten zu können, die für viele berufliche Wege […] geeignet ist. Stattdessen jedoch wird umgekehrt der Eindruck erweckt, als seien Universitäten die geborenen Orte für das Betreiben von Wissenschaft und erst in zweiter Linie Orte, die mehr oder minder zufällig auch über die Zeit und andere für die Ausbildung von Studierenden nötige Ressourcen verfügen. […]

Dabei liegt auf der Hand, woran zu arbeiten wäre und welche drängenden Aufgaben sich stellen: Die Gesellschaft sucht einen Ausweg aus dem durch die Ausbeutung fossiler Energien seit der Industrialisierung offenbar zum Schicksal gewordenen Wachstumspfad. Jede erdenkliche Form sozialer Balance, die zwischen Beruf, Karriere und Konsum bisher im Sog dieses Wachstums lag, muss neu gefunden werden. Die Universität ist der Ort, wo Lehrende und Studierende in der Auseinandersetzung mit den Professionen jede gesellschaftliche Praxis auf den Prüfstand stellen könnten. […]

Nur der sogenannte Mittelbau könnte für die erforderliche Unruhe in den Universitäten sorgen. In der Auseinandersetzung mit der Professor:innenschaft, die die Standards von Theorie und Methode hochhält, auf der einen Seite, und den Studierenden, die zwischen Aufbegehren und Karriere oszillieren, auf der anderen kann er die Impulse einer gesellschaftlichen Relevanz wissenschaftlicher Ausbildung setzen. Das ist seine einzige Chance. Doch diese Chance kann er nur ergreifen, wenn keine Dauerbefristung ihn an der kurzen Leine der Bedienung professoraler Vorlieben, der Verwertung in der Drittmittelforschung und modischer Kritik hält. […]

Einen besseren Ort als die Universität für die kritische Reflexion und Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung haben wir nicht. Sie stellt das Personal für ein strategisches Denken in Behörden, Unternehmen, Kirchen, Parteien, Stiftungen, NGOs, Think Tanks, in Kunst und Kultur, in den Massenmedien und nicht zuletzt in der Wissenschaft […]. Man stelle sich eine Universität vor, in der der Mittelbau aus Karrieregründen zur Kontaktfläche zwischen gesellschaftlichen Aufgaben und akademischer Reflexion wird! Die Fakultäten und Departments werden Bootcamps problemorientierter Forschung! Unvorstellbar. Stattdessen arbeitet der Mittelbau einer Drittmittelforschung seiner Vorgesetzten zu, die fest im Griff einer Gutachterkultur ist, die keine anderen Standards kennt als die jener Fachwissenschaften, die längst vor der gesellschaftlichen Komplexität kapituliert haben


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