Luhmann vor dem World Wide Web

10. August 2010

Luhmann, der theoretische “Antihumanist“, hat sich, das zeigen vor allen Dingen Interviews, auch mit den Auswirkungen computergestützter Kommunikation auf die Gesellschaft beschäftigt. Etwas gemein, aber hier ein paar Aussagen, die der Systemtheoretiker größtenteils vor der sozialen Wirklichkeitswerdung des Internets getroffen hat:

… zur Computerisierung der Gesellschaft (1992, aus dem Buch “Was tun, Herr Luhmann” [Kadmos 2009]): “In den ersten gedruckten Büchern wurde der Leser aufgefordert, selber zu antworten, seine eigenen Erfahrungen, etwa mit Kräutern, an den Autor des Buches weiterzugeben. Der Leser wurde sogar aufgefordert, selbst Bücher zu schreiben. […] Ich sehe keine Veränderungen von gesellschaftlicher Tragweite. Ich beobachte nur Veränderungsstückchen, neue Möglichkeiten in verschiedenen Hinsichten, […] nichts, was dem kulturellen Stoßeffekt der Schrift gleichkäme. […] Ich sehe keine Ausweitung von Möglichkeiten, die den Organisationsaufwand und den Formfindungsaufwand schwieriger machen. Es fällt ja auf, dass beispielsweise die Computerisierung in Firmen mit fast unveränderten Organisationsformen durchgeführt wird”.

… zur Dezentralisierung durch Computerisierung (1993, ganzes Interview hier): “Die Computerisierung führt zu einer Dezentralisierung sowohl auf professioneller als auch auf organisatorischer Ebene und gerade nicht zu einer zentralen Kontrolle. […] Computersysteme thematisch zu zentralisieren, macht überhaupt keinen Sinn”.

… über das Verhältnis zwischen Web-Massenmedien (1997 , ganzes Interview hier): “Für Massenmedien selber werden die aktuellen technischen Innovationen wie das Internet oder individuell wählbare Informationen wenig Bedeutung haben. Sie werden sich neben Massenmedien wie Tageszeitungen oder auch das Fernsehen setzen, sie jedoch nicht verdrängen. Das Internet mit seinen Kommunikationsmöglichkeiten ist auch, wenn es massenhaft als Medium genutzt wird, kein Massenmedium, denn es ist ja gerade keine einseitige technische Kommunikation, sondern kann individuell genutzt werden. Die Sorge, dass neue Medien die traditionellen ersetzen, ist so alt wie unbegründet”.

… zu Computern und Information (1996, ganzer Vortrag hier): “Die Computer speichern und verarbeiten, wie man sagt, Informationen: aber ihre Schaltzustände sind und bleiben unsichtbar, und man muß schon wissen, was man wissen will, um ihnen Schrift, Tabelle, Bild oder Sprache zu entlocken. […] Die gespeicherten Daten, die Bücher in den Bibliotheken, die Dokumente in den Archiven, die Schaltzustände der Computer, sind zunächst ja nur virtuelle Information, die nur Information wird, wenn man sie nachfragt und sich durch Auskunft oder Ausdruck überraschen läßt. Zur Anfrage oder Abfrage bedarf es jedoch einer Entscheidung. […] Computer machen Eindruck, gerade weil man nicht sehen kann, wie sie arbeiten. Aber die Form der Information hat auch eine andere Seite. Sie reproduziert Wissen als Überraschung. Alles, was sie bestimmt, könnte auch anders bestimmt sein. Ihre Kosmologie ist eine Kosmologie nicht des Seins, sondern der Kontingenz”.


Horst Köhler und die Kraft des Webs

31. Mai 2010

Ganz klar: Ein Kapitän sollte das Schiff nicht bei hohem Wellengang verlassen, sondern muss seines Amtes zumindest walten, bis ein sicherer Hafen in Sichtweite ist. Trotzdem: Mit Horst Köhler ist übel mitgespielt worden, insbesondere in einem ZEIT-Kommentar vonKarsten Polke-Majewski. Aber das ist eine Diskussion, die hier nicht geführt werden soll.

via Wiki Commons

Interessant ist in unserem Kontext freilich etwas ganz anderes, nämlich die Chronologie der Berichterstattung zu Köhlers umstrittenen Interview:

  • Am 22. Mai veröffentlicht der Deutschlandfunk eine Zusammenfassung des besagten Interviews mit unserem Bundespräsidenten (mittlerweile a.d.), allerdings ohne direkt auffindbaren Link zur entsprechenden Audio-Datei.
  • Am 25. Mai berichtet “Lupe, der Satire-Blog” ausführlich über das Interview und bringt neben einem Kommentar auch ein Video mit kompletter Audiospur des Interviews. Am gleichen Tag stellt das Blog “Bundeshorst” Strafanzeige gegen Horst Köhler aufgrund der fraglichen Passagen. Kurz danach ist das Interview vieldiskutiertes Thema in der deutschsprachigen Blogosphäre.
  • Erst am 27. Mai begannen die etablierten massenmedialen Kanäle wie der Spiegel über das Interview zu berichten und die Berichterstattungslawine kam ins Rollen – mit den nun allen bekannten Folgen.

Die Affäre um Horst Köhler ist damit ein perfektes Beispiel dafür, welchen Einfluss die Blogospähre auf die mediale Berichterstattung ausüben kann bzw. welchen Zeitvorsprung Social-News- und Blog-Leser im besten Falle haben…


iPad: Freiheit ist die einzige die fehlt

16. Mai 2010

Apple ist eine Glaubensfrage. Ja, Apple begrenzt den Aktionsradius von Endverbrauchern und Entwicklern. Ja, Apple wird (hoffentlich und sicherlich) wie jede Firma die Steigerung des eigenen Umsatzes bei jeder neuen Produktentwicklung im Hinterkopf behalten. Eine zumindest ambivalente Definition von Freiheit aber lieferte Steve Jobs (oder ein Apple-Mitarbeiter, der sein Mail-Alias verwenden darf) jüngst in einer Diskussion mit dem Blogger Ryan Tate:

The iPad offers “freedom from programs that steal your private data. Freedom from programs that trash your battery. Freedom from porn. Yep. Freedom. The times they are a changin’ […]. There are almost 200’000 apps in the App Store, so something must be going alright.”

Steve uns Bill vereint (via Wiki Commons)

Steve uns Bill vereint (via Wiki Commons)

Abgesehen davon, dass die Behauptung “Freedom from Porn” für jede Web-Schnittstelle (so auch für das iPad) problematisch ist, da über den eingebauten Browser schlicht jede erdenkliche Seite aufgerufen werden kann, zeugt es durchaus von einer gefährlichen Arroganz, einen berechtigten Einwurf hinsichtlich der inhaltlichen und strukturellen Offenheit von Apple-Produkten mit dem Hinweis zu beenden, dass einem der Erfolg ja recht gäbe.

Was würde passieren, wenn der Verweis auf den eigenen Erfolg das Letztargument in unserer Welt wäre? Die Geschichte (nicht nur die unsere) hält einige Antworten dazu bereit, die illustrieren, wie gefährlich eine solche Einstellung sein kann. Der große Vorsitzende Steve Jobs beendet die Diskussion mit Ryan Tate übrigens mit den Worten:

“By the way: What have you done that’s so great? Do you create anything, or just criticize others work?”


Game-ified Life: Die schöne neue Welt nach Facebook?

14. März 2010

Ein Tipp von Klaas Benjamin: Jesse Schell war unter anderem bei Disney beschäftigt, ist ein vielbeachteter Autor, besitzt ein Spieleentwicklungsstudio und hält Vorlesungen an der Carnegie Mellon Universität.

Unlängst hat er den vielbeachteten Vortrag “Design Outside The Box” am DICE Summit 2010, gehalten, der nicht nur von der Zukunft digitaler Spiele handelt, sondern anschaulich vor Augen führt, wie das gesellschaftliche Leben an sich in einer Zeit nach Facebook und Konsorten durch Tracking- und Scoring-Techniken zu einem Spiel avancieren könnte (inklusive Highscore und Bonuspunkten).

Abgesehen davon, dass mir der BA und MA an unseren Universitäten hin und wieder schon ziemlich game-ifiziert vorkommt, werden in diesem Vortrags-Video einige interessante Visionen zu einer verspielten schönen (?) neuen Welt entwickelt.


„Social Media killed TV“

13. Februar 2010

Digitale Revolutionen sind angesagt. Neuerdings findet sich ein nicht ganz ernst gemeinter erhellender Rundblick zu der Wirkung von etwaigen Web 2.0-Angeboten hier.