Das Sterben der Silberscheiben — 10 Jahre iTunes Music Store

2. Mai 2013

Der iTunes Music Store feierte unlängst sein 10-jähriges Bestehen (vgl. Apple-Pressemeldung vom 28.4.2003; Screenshot von Version 1) und provozierte schon kurz nach seinem Start ein fulminantes Presseecho (hier: Zeit 21/2003):

»Das Ende der Industrie schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Bis vor zwei Wochen. Da stellte Steve Jobs […] seinen iTunes Music Store vor, ein legales Online-Angebot. Und gleich in der ersten Woche verkaufte er eine Million Musikstücke. Die Verkaufszahlen bekommen noch mehr Gewicht, bedenkt man, dass derzeit nur die etwa drei Millionen amerikanischen Apple-Besitzer, die mit dem neuesten Betriebssystem arbeiten, auf den Music Store zugreifen können. Vieles spricht dafür, dass Steve Jobs das Musik-Vertriebsmodell des 21. Jahrhunderts gefunden hat.«

Ebenso begeistert zeigte sich der Spiegel (21/2003) und schloss sich einer Prognose an, die sich bis heute in ihrer radikalen Form mithin nicht bewahrheiten sollte:

»Apples Music Store könnte mehr verändern als nur die Vertriebswege von Musik. Das Album selbst könnte verschwinden. ›Wer denkt denn heute noch an Alben?‹, fragt Jobs. Wiedergabelisten, vom Hörer zusammengestellt, seien wesentlich attraktiver. Künftig werden Musiker womöglich keine fein ziselierten Alben mehr veröffentlichen, weil ihre Käufer ihnen längst nicht alles und schon gar nicht in der dargebotenen Reihenfolge abkaufen.«

Heute ist der iTunes Store im Bereich des Online-Musikvertriebs noch immer weltweiter Marktführer und hat wesentlich zur Erholung der Musikindustrie in toto (siehe Digital Music Report 2013) wie auch dem schleichenden Abschied von CDs (aber nicht Musik-Alben) beigetragen. Aus welchen Konfigurationen heraus es freilich erst dazu gekommen ist, dass ein branchenferner Akteur wie Apple den Musikmarkt aufmischen konnte, beschreibt Ulrich Dolata in dem Band »Internet, Mobile Devices und die Transformation der Medien« (Edition Sigma 2013, S. 67–91) in einer detaillierten Fallstudie – nachfolgend ein paar kurze Ausschnitte:

»Zusammen mit dem Musikplayer iPod […] konnte Apple erstmals ein integriertes kommerzielles Download- und Hardware-Angebot präsentieren, das technisch einfach zu handhaben war, mit vergleichsweise geringen DRM-Restriktionen arbeitete, von den Musikkonzernen akzeptiert und von den Musikkonsumenten angenommen wurde […].

[…] Der Erfolg von iTunes und die Etablierung weiterer kommerzieller digitaler Musik-Angebote war im Grunde eine Rückkehr zum alten Vertriebsmodell auf digitaler Basis. Der Versuch der Industrie, den Zwischenhandel weitgehend auszuschalten und digitale Musik direkt an die Endkunden zu verkaufen, war gescheitert. Stattdessen wurden nun die klassischen stationären Händler um digitale Music-Stores erweitert, denen die Majors ihr Repertoire zur Verfügung stellten. Anders als der stationäre Handel, der von großen nationalen Handelsketten dominiert wird, konnte sich Apple mit iTunes allerdings weltweit als unangefochtener Marktführer etablieren – und wurde damit zu einem mächtigen und diktierfreudigen Verhandlungspartner der Musikindustrie in diesem neuen Geschäftsfeld. Dass sich alle führenden Musikkonzerne 2003 auf den iTunes Store einließen und ihr digitales Repertoire zur Verfügung stellten, lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass die Industrie nach ihren gescheiterten eigenen Versuchen unter massivem Druck stand, dem kostenlosen Musiktausch schnell ein breit akzeptiertes legales Angebot entgegenzustellen.

[…] Etablierte Akteure bleiben freilich in aller Regel nicht über die gesamte Zeit einer Transformationsperiode passiv und veränderungsresistent. Mit zunehmendem Anpassungsdruck, der sich durch neue technologische Möglichkeiten und diese aufgreifende neue Akteure aufbaut, versuchen auch sie, in das neue Spiel mit eigenen organisationalen, strukturellen und institutionellen Initiativen hineinzufinden. […] Das trifft auch für die Majors zu, die mit der Entwicklung eigener internetbasierter Geschäftsmodelle seit etwa 2007/2008 begonnen haben, sich auf die für sie neuen Bedingungen des Musikgeschäfts über das Internet aktiv einzulassen.

[…] Die Musikkonzerne, die den Sektor lange Zeit fast uneingeschränkt dominieren konnten, haben den Wandel aus den genannten Gründen nicht kontrollieren können und ohne Zweifel an Einfluss auf die Gestaltung des Sektors verloren. Sie sind aber im Spiel geblieben – als Produzenten, globale Promotoren und Vermarkter von Künstlern, als Musikverlage und Rechteinhaber und […] auch als keineswegs unwichtige Akteure in den politischen Diskussionen um die rechtliche Einfassung und Regulierung des internetbasierten Musikgeschäfts.«

Auch aus heutiger Sicht noch immer unterhaltsam ist übrigens die Keynote, die Steve Jobs anlässlich der Einführung des iTunes Stores gehalten hat (Achtung: 2003er Videoqualität):

https://www.youtube.com/watch?v=8Rr0tdmqDA8