Stuttgart 21: Plakatstudie; Schlichtungslehren

22. November 2011

In Baden-Württemberg gilt es an diesem Sonntag über das Projekt Stuttgart 21 abzustimmen – und zwar entweder mit »ja« oder mit »nein«. Klingt einfach? Ist es aber nicht, denn Befürworter sollten ihr Kreuz in diesem Falle bei »nein« setzen, während Projektgegner mit »ja« stimmen müssen (eine ähnliche Verwirrung herrschte beim Freiburger Bürgerentscheid 2006):

»Mit ›Ja‹ stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben. Mit ›Nein‹ stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen […] auszuüben.«

Aus dieser verklausulierten Ausgangslage erwuchs selbstredend eine besondere Herausforderung für die Gestaltungsfachleute in beiden Lagern. Und die Resultate ihrer Bemühungen prangen seit einigen Wochen an vielen zentralen Laternenpfählen im Ländle. Wie erfolgreich aber transportieren diese Plakate ihre Botschaft?

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Jan Kercher und Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim haben in einer Studie rund 350 Stuttgarter Bürgern zu ihren Einstellungen gegenüber Stuttgart 21 und zu ihrer Bewertung der Plakate zur Volksabstimmung befragt. U.a. sollten die Teilnehmer zu Protokoll geben, wie verständlich, glaubwürdig, überzeugend, sympathisch und sachlich sie die Plakate empfanden. Die Kernergebnisse:

  • Plakate aus der bunten Ja-Kampagne (»Ja zum Ausstieg«) erhielten die Top-Bewertungen in Sympathie, Überzeugungskraft und Verständlichkeit. Dagegen erhielten Plakate aus der orange-grauen Nein-Kampagne (»Pro Stuttgart 21«) die besten Bewertungen in Sachen Glaubwürdigkeit und Sachlichkeit. Die Plakate aus der roten »Wir-sind-doch-nicht-blöd«-Kampagne schnitten hingegen in allen Kategorien eher schlecht ab.
  • Bei der Bewertung nach Noten favorisierten die S21-Gegner die bunte Ja-Kampagne und Projekt-Befürworter sahen entweder die »Wir-sind-doch-nicht-blöd«-Plakate und die orange-grauen »Nein«-Plakate vorne. Neutrale und unentschiedene Teilnehmer gaben eher den bunten Ja-Plakaten den Zuschlag.
  • Nach Entfernen des Slogans wurden mithin nicht mehr alle Plakate dem richtigen Lager zugeordnet: In beiden Lagern gab es Plakate, denen von mehr als einem Drittel der Teilnehmer die falsche Botschaft zugeordnet wurde.

Die Studie war nicht repräsentativ angelegt; allerdings waren nach Ansicht der Autoren alle drei Gruppen (ja, nein, neutral) ausreichend in der Stichprobe vertreten. Frauen und Männer machten jeweils etwa die Hälfte der Befragten aus, der Altersdurchschnitt lag bei 42 Jahren.

Aus der gleichen Schmiede (Lehrstuhl Kommunikationswissenschaft, Hohenheim) stammt übrigens ein Artikel in der aktuellen APuZ (S. 40–46), der sich mit der »Kommunikation und Meinungsbildung bei Großprojekten« auseinandersetzt. Ebenfalls auf der Grundlage von Befragungen und weiteren empirischen Daten kommt der Text zu dem Schluss, dass »die Schlichtung zu einer Versachlichung der sehr emotional geführten Debatte geführt [hat]. Sie hat die Eskalationsspirale gestoppt. Und sie hat dazu beigetragen, die eingeforderte Transparenz herzustellen.« Aber:

»Sie hat viel zu spät stattgefunden. Dies ist nicht dem Schlichter und den Teilnehmenden an der Schlichtung vorzuwerfen. Künftig sollten solche Gespräche aber nicht erst stattfinden, wenn sich die Positionen bereits verfestigt haben. Ein Einfluss von Sachargumenten auf die Meinungsbildung ist wegen der selektiven Wahrnehmung dann nur noch sehr schwer möglich.«


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5 Kommentare zu “Stuttgart 21: Plakatstudie; Schlichtungslehren”

  1. Parkschützer says:

    400 000 Euro stecken beide Seiten nach eigenen Angaben in ihre Kampagnen! Hat die Welt nichts besseres zu tun, als sich um einen Bahnhof zu streiten? selbst wenn man es bei den Großprojekten belässt: Da gibt es ganz andere “Baustellen”!

    Ahoi!
    PS

  2. Parkschützer says:

    Ich schiebe noch nach: Falls der hier erwähnte “Jan Kercher” der Gleiche ist, wie der Autor des ZEIT-Artikels zu der Studie (http://tinyurl.com/cyy4svj), dann berichtet ein Autor über sein Werk – und das finde ich dann doch nich so ganz Okay…

  3. Kerchers Artikel ist, soweit ich das sehe, ein Blog-Beitrag und insofern gelten da wahrscheinlich nicht die »harten« journalistischen Kriterien, die durch die »Zeit« ansonsten angelegt werden (falls das der Fall ist).

  4. Jan Kercher says:

    Der Blog-Beitrag auf “Zweitstimme” stammt tatsächlich von mir. Und mich würde wirklich sehr interessieren, was daran “nich so ganz Okay” sein soll. “Zweitstimme” ist ein Zeit-Blog, der von Politik- und Kommunikationswissenschaftlern betrieben wird, die dort über ihre aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse berichten. Was man auch ziemlich schnell merken würde, wenn man sich mal ein paar Beiträge von diesem Blog durchlesen würde. Übrigens: So ziemlich jeder wissenschaftliche Aufsatz, jede Dissertation und jede Habilitation berichtet über die eigenen Ergebnisse des jeweiligen Forschers. Wenn Sie meinen Blog-Beitrag also für “nicht so ganz Okay” halten, dann wäre ich Ihnen dankbar für einen Vorschlag, wie man das in Zukunft anders organisieren soll. Trennung von Forschung und Publikation? Oder lieber gleich ganz auf die Publikation von Forschungsergebnissen verzichten? Vielleicht sollten Sie sich darüber einfach erstmal ein paar sinnvolle Gedanken machen und bis dahin auf weitere unbegründete und haltlose Vorwürfe dieser Art (dazu noch unter Pseudonym) verzichten.

  5. @Parkschützer: Grundsätzlich halte ich es für richtig, zu hinterfragen, wer über welche Dinge berichtet. In diesem Fall allerdings frage ich mich, was denn der Nachteil sein sollte, wenn diese Forschungsergebnisse eine möglichst breite Veröffentlichung erfahren, zumal ja die Rahmenbedingungen der Studie eindeutig benannt werden.

    Zudem (ein recht eindeutiges ›Mission Statement‹): »The blog ›Zweitstimme‹ is published by the online edition of the German weekly ›DIE ZEIT‹. Political scientists and journalists provide analyses of current political affairs in Germany from the perspective of empirical social research.« (http://tinyurl.com/crk2qk5)