Lektürehinweis: Quantifizierung politischer Entscheidungsprozesse (Mayntz)

19. September 2017

Im Sommer ist ein Diskussion Paper von Renate Mayntz mit dem Titel »Zählen – Messen – Entscheiden: Wissen im politischen Prozess« (PDF) erschienen, das sich mit der Quantifizierung politischer Entscheidungsprozesse auseinandersetzt:

»Quantifizierung heißt nicht nur Zählen, sondern auch Indexbildung, Ranking und formale Modellierung […] Der Rückgriff auf quantifiziertes, formalisiertes Wissen dient dabei nicht nur der Effektivität politischer Intervention, sondern auch ihrer Legitimierung.

[…] Das Dilemma von Quantifizierung im politischen Prozess besteht darin, dass Zählen und Messen Sicherheit verleiht und damit Entscheiden erleichtert, die Sicherheit jedoch nur scheinbar ist. […] Im soziologischen Konstruktivismus ist die handlungsprägende Bedeutung der Interpretation von Situationen und sozialen Phänomenen geläufig. Das lässt sich auf Versuche übertragen, soziale Phänomene […] zu messen.

[…] Maßzahlen und Indizes von prekärer Gültigkeit werden bei Entscheidungen gehandhabt, als ob sie ein zutreffendes Bild der Wirklichkeit böten, sie können das Handeln aufgrund ihrer fragwürdigen Gültigkeit jedoch fehlleiten. Dabei wächst die mögliche Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und dem, was man dafür hält, von einfachen statistischen Maßzahlen hin zu Versuchen, globale Systemmerkmale zu erfassen, und damit wächst die Gefahr, dass ein darauf gestütztes Handeln nicht intendierte und nicht antizipierte Folgen hat.

[…] Politiker und auch Journalisten würden den Tatbestand der bloß symbolischen Repräsentation der Gegenstände, die sie gestalten wollen beziehungsweise über die sie reden, sicher nicht leugnen – aber sie handeln und reden meist, als ob die Zahlen und Maße ein genaues Abbild der Wirklichkeit wären. Fiktionalität ist nicht nur unseren Vorstellungen von der Zukunft eigen, sondern allzu leicht auch unserem Bild der Gegenwart.«


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