Casting-TV: ›Unser Star‹ ist nicht totzukriegen…

15. Januar 2012

Casting-Shows im Fernsehen blicken auf eine längere Geschichte zurück, als sich allgemeinhin denken ließe: Schon Mitte der 1950er Jahre wurden die Wahlen zur Miss America im amerikanischen TV übertragen und ab den 1960er Jahren entwickelten sich die Vorentscheide für den Grand Prix Eurovision de la Chanson (heute: Eurovision Song Contest) auch in Deutschland zu Straßenfegern mit bis zu 15 Mio. Zuschauern.

Bis in die 1990er Jahre trug der deutsche Vorentscheid mithin noch den Titel »Ein Lied für …« und nicht wie heute die Bezeichnung »Unser Star für …«. Erst ab 2010 und mit Stefan Raab entwickelte sich die öffentlich-rechtliche Talentsuche auch in offizieller Lesart von einem Wettbewerb um das beste Songgut zu der Suche nach einem vielfältig vermarktbaren Star, dessen Entwicklung von Beginn an durch Kameraaugen festzuhalten ist. Die seit 2000 durch die Casting-Reality-Shows der Privatsender stetig weiterentwickelten – und in der Zuschauergunst erfolgreichen – Modelle wurden auf diese Weise letztlich zu einer übergreifend akzeptablen Herangehensweise geadelt.

Und so wird sich 2012 wie in den 2 Jahren zuvor in den ARD-Final-Shows die paradoxe Situation einstellen, dass deren Zuschauer zu kostenpflichtigen Voting-Anrufen gereizt werden, die zum Erfolg eben jenes Programms beitragen, für dessen Finanzierung sie als GEZ-Zahler bereits einen Obolus geleistet haben. Dieses Jahr kann sich die Projektliaison zwischen ARD und Pro 7 allerdings sogar noch mit einer mutmaßlich weltweiten Neuerung schmücken, die letztlich eine konsequente, wenn auch hinterfragbare Weiterentwicklung des Casting-Betriebs darstellt: Der Blitztabelle.

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Social Media: Die meistempfohlenen Artikel 2011

4. Januar 2012

Es ist die Zeit der Jahrescharts – nicht nur musikalisch (alternative Sichtweise hier): Jens Schröder und weitere Autoren von Hyperland haben sich die Mühe gemacht, die 100 deutschsprachigen Beiträge aus dem Netz zu fischen, die im Jahr 2011 am häufigsten von Facebook-, Twitter– und Google+-Nutzern weiterempfohlen (bzw. geliked, geshared, getweeted oder 1+st) wurden:

»Mit Hilfe verschiedenster Recherchewege werden zehntausende Artikel identifiziert, die oft bei Twitter, Facebook und Google+ genannt wurden. Mit Hilfe der offiziellen API-Schnittstellen […] werden anschließend die Gesamtverlinkungen in Tweets, Facebook-Likes, etc. für all diese Beiträge ermittelt und ein Ranking erstellt.«

Zum einen lassen sich aus diesen Nachforschungen nun die Top-Themen im Social Web 2011 herauskristallisieren: Auf den vordersten Plätzen finden sich hierbei die Guttenberg-Affäre, Warnungen vor Facebook-Würmern und -Viren, die Schließung von kino.to, die Tötung von Osama Bin Laden, das Gesichtserkennungs-Feature bei Facebook, eine Kinderschänder-Fahndung und die Causa Wir sind Helden versus Bild.

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Splitter: Staatsschuldenkrise – systemtheoretisch

13. Dezember 2011

Mit Rekurs auf Luhmanns Wirtschaft der Gesellschaft hat Jörg Räwel unter Titel »Das Finanzsystem als Parasit des Wirtschaftssystems« einen Artikel zur vieldiskutierten ›Schuldenkrise‹ verfasst, der vor Augen führt, dass sich durch eine differenzierte systemtheoretische Beobachtung durchaus in pointierter Weise der berühmte Finger auf einige ›Wunden der Gesellschaft‹ legen lässt.

Zunächst referiert der Artikel Luhmanns grundsätzliche Sicht auf das Wirtschaftssystem (elementare Operationen: Zahlungen) und kommt dann auf die veränderte Rolle des Finanz(sub)systems zu sprechen:

»[A]ls sich wirtschaftliche Aktivität vorrangig auf Nationalstaaten bezog […] [kam] dem Finanzsystem [.] die Aufgabe zu, die profitable Verwertung der Verschuldung von Unternehmen zu organisieren, deren Finanzierung und Refinanzierung zu sichern. Sowohl der Staat als auch Gewerkschaften verfügten in einer primär nationalstaatlich organisierten Wirtschaft noch über genügend Macht bzw. Einflussmöglichkeiten, um für eine ausreichende Besteuerung bzw. Entlohnung weitgehend unabhängig von Verschuldungen am Finanzmarkt zu sorgen. Es waren dies die goldenen Zeiten sogenannter ›Sozialer Marktwirtschaft‹.«

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Stuttgart 21: Plakatstudie; Schlichtungslehren

22. November 2011

In Baden-Württemberg gilt es an diesem Sonntag über das Projekt Stuttgart 21 abzustimmen – und zwar entweder mit »ja« oder mit »nein«. Klingt einfach? Ist es aber nicht, denn Befürworter sollten ihr Kreuz in diesem Falle bei »nein« setzen, während Projektgegner mit »ja« stimmen müssen (eine ähnliche Verwirrung herrschte beim Freiburger Bürgerentscheid 2006):

»Mit ›Ja‹ stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben. Mit ›Nein‹ stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen […] auszuüben.«

Aus dieser verklausulierten Ausgangslage erwuchs selbstredend eine besondere Herausforderung für die Gestaltungsfachleute in beiden Lagern. Und die Resultate ihrer Bemühungen prangen seit einigen Wochen an vielen zentralen Laternenpfählen im Ländle. Wie erfolgreich aber transportieren diese Plakate ihre Botschaft?

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Ab heute im Dienst: Das »Google-Institut«

25. Oktober 2011

Heute wird in Berlin an der Humboldt-Universität das Institut für Internet und Gesellschaft eröffnet. Nicht nur die Berliner Morgenpost spricht derweil salopp vom »Google-Institut«, denn die Startfinanzierung über 4,5 Millionen € für die ersten drei Jahre übernimmt komplett das Unternehmen Google. Ziel des Instituts ist es, die vom Internet ausgehenden Veränderungen der Gesellschaft besser zu verstehen; im Vordergrund stehen zunächst die Aspekte ›Innovation‹ und ›Regulierung‹.

Ein solches Institut kann nun einerseits gerade die deutsche Forschungslandschaft sehr gut gebrauchen – oder wie es der Blogger und Deutschlandradio-Journalist Philip Banse (etwas negativer) formuliert:

»Das Internet revolutioniert unsere Welt wie lange nichts mehr und die deutschen Hochschulen schaffen es nicht, zumindest ihre überschaubaren Aktivitäten in diesem Bereich unter einem Dach zu bündeln? Jetzt kommt Google […] und sagt: Leute, hier muss was passieren, wir brauchen ein Institut, dass sich allein ums Internet kümmert – hier sind 4,5 Millionen Euro für drei Jahre. […] Die deutschen Netz-Forscher aber stehen blamiert da. Nicht nur, dass sie auf einen der größten Internet-Konzerne warten mussten, um ein Internet-Institut zu gründen. Sie lassen sich auch noch für lumpige 4,5 Millionen Euro Ihre Glaubwürdigkeit zerbeulen. […]

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Nonkonformismus

19. September 2011

Sozialer Wandel wird (auch) durch Nonkonformisten vorangetrieben, das steht außer Frage: Martin Luther beispielsweise lässt sich nicht einfach als Membran für die strukturaufbrechende Wirkung des Buchdrucks oder als Variable in einem Phasenwechsel zwischen priesterdominiertem und säkularem Wissen beschreiben (vgl. Elias 2001), denn rückblickend lässt sich kaum absehen, ob ohne sein Auftreten vielleicht ein anderer Reformator vergleichbare Dynamiken angestossen hätte oder ähnliche persönliche Risiken eingegangen wäre.

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Wie aber unterscheiden sich heute Nonkonformisten von Konformisten? Was genau ist ihre Funktion in einer liberalen Gesellschaft? (Kann man sich schon als Nonkonformist bezeichnen, wenn man die Piratenpartei wählt?) Heinz Bude hat sich im aktuellen Merkur (9/10 2011) mit diesen sowie ähnlichen Fragen auseinandergesetzt und dabei ist ein sehr lesefreundlicher (kostenfrei abrufbarer) Artikel entstanden, dessen einleitender Absatz sich aus systemtheoretischer Sicht ähnlich fassen ließe:

»Offene Gesellschaften rechnen mit Nonkonformisten. […] Karl Mannheim hätte seinerzeit gesagt, es sind die Protagonisten der Unruhe, die die ›Konkurrenz auf dem Gebiete des Geistigen‹ beleben. […] Es geht um kognitive Irritationen wie um normative Rebellionen.«

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»Liebe Geisteswissenschaftler, […] vielleicht braucht Euch ja doch keiner«

19. August 2011

Eigentlich sollte sich der nächste Gedankenstrich-Beitrag um die Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2011 drehen, da sich aber augenscheinlich in der Rezeption wenig am Verhältnis von Social Media und Massenmedien geändert hat und es in den letzten zwei Tagen ein polemischer Artikel des Attention-Bloggers Martin Seemann zum Verhältnis der Geistes- und Sozialwissenschaften mit der digitalen Gesellschaft geschafft hat, 80 Kommentare (!) zu generieren und ein Interview auf süddeutsche.de nach sich zu ziehen, erhält dieses Thema den Zuschlag.

Der Artikel

Michael Seemann ist »ein Fan der Geisteswissenschaft«, hält aber augenscheinlich nicht viel von ihren derzeitigen Vertretern:

»Ich habe ein Problem mit Euch, dem denkfaulen, behäbigen und selbstgerechten Personal, das bräsig in der Uni sitzt, Paper über Themen schreibt, die keinen interessieren und die keiner liest, während die Welt sich rasant verändert. […] Ich habe ein Problem mit Euch, die Ihr aus eitler Attitüde heraus das neue Feld des Geistes, der Kultur und des Menschen habt links liegen lassen und damit Euch selbst – Eure gesamte gesellschaftliche Relevanz – aufgegeben habt!«

Der Autor hat sich vermutlich gedacht, es sei besser mit dem Holzhammer eine Diskussion anzustossen als gar nicht – oder aber der gemeine Geistes- und Sozialwissenschaftler hat sich schlicht noch nicht daran gewöhnt, dass sich im Netz aus Sicht Seemanns nur mit Brachialthesen Aufmerksamkeit gewinnen lässt. Der Artikel fährt denn auch mit folgenden Anfragen an einzelne Subdisziplinen fort:

@Sozialwissenschaftler: »Hast Du schon Kooperationen mit Facebook, Google oder wenigstens StudiVZ gesucht, um an Daten heranzukommen, wie Menschen tatsächlich miteinander interagieren? Das, was Ihr all die jahrelang vor Euch hinfabuliert habt, harrt der empirischen Überprüfung. Die Daten sind da. Menschliche Interaktion ist heute messbar. Wann fangt Ihr an?«

@Politikwissenschaftler: »Hast Du Dich schon mal mit der Unternehmensstruktur des Googlekonzerns befasst? Kennst Du Dich aus, mit dem Plattformstreit? Verfolgst Du die aktuelle Evolution vom Dienst, zur Plattform, zum Markt, zum Ökosystem? […] Im Internet werden die Weichen der Zukunft gestellt, dort verlagern sich Gesellschaft und damit Macht, Aushandlungsprozesse und die Normativität des Faktischen hin.«

@Philosophen: »Hier werden Sprechakte und ihre Wirkung erfahrbar. Hier entstehen neue Formen des gemeinsamen Denkens, vielleicht sogar neue Formen von Bewusstsein. […] Warum müssen Journalisten, Techies, Ex-Hippies und Blogger Deinen Job übernehmen und die großen neuen Theorien, Utopien und Ethiken spinnen?«

Die Kommentare

Seemann selbst bezeichnet den Artikel in seiner Reaktion auf die Kommentare als »Rant« (Gerede), trotzdem aber fühlten sich in den vergangenen Tagen rund 80 Leser gemüßigt, auf die getätigten Aussagen zu reagieren. Nachfolgend eine selbstredend kontigente Auswahl:

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