Big Data: Informatisierung und Soziologie

9. Februar 2017

In der Berliner Debatte Initial 27(4) ist in diesen Tagen der Artikel »Big Data: Informatisierung der Gesellschaft 4.0« erschienen. Nachfolgend einige kleine Ausschnitte aus dem Schlusskapitel.

In der Langzeitbetrachtung wird deutlich, dass sich im aktuellen Diskurs um die gesellschaftlichen Folgen von ›Big Data‹ viele der dystopischen und utopischen Erwartungen widerspiegeln, die bereits seit den 1960er-Jahren an digitale Massendaten und Datenfluten geknüpft worden sind […]. Nach der Emergenz der Idee einer Informationsgesellschaft im Kontext der akademischen Urbarmachung von Computern in den 1960er- und 1970er-Jahren (1. Phase), einer ersten Welle der Informatisierung der alltäglichen Lebenswelt in den 1980er- und 1990er-Jahren (2. Phase) sowie dem Aufstieg der Datenkonzerne und der zeitgleichen diskursiven Betonung der ermöglichenden Eigenschaften der Plattformen im Web 2.0 in den 2000er-Jahren (3. Phase) rücken seit 2010 explizit Massendaten sowie die Fragen nach ihrer Kontrolle und Auswertung in den Mittelpunkt der gesellschaftsweiten Diskussion um neue Informations- und Kommunikationstechnologien (4. Phase).

1. Phase
1960/70er
2. Phase
1980/90er
3. Phase
2000er
4. Phase
ca. ab 2010
Emergenz der ›Informations-gesellschaft‹ als Begriff und IdeeBeginnende Informatisierung der alltäglichen LebensweltAufstieg der Datenkonzerne und ›Web 2.0‹-Diskurs›Big Data‹: Soziale Vergegenwärtigung der Informatisier-ung

Gerade im gegenwärtigen Stadium, in der sich die Gesellschaft ihrer allumfassenden Informatisierung bewusst wird, kommt der Soziologie als Gesellschaftswissenschaft im klassischen Sinne eine zentrale Rolle zu, denn anders als in der Industrieforschung und in anwendungsbezogenen Disziplinen geht es ihr nicht um kurzfristige Vorhersagen oder eine möglichst zeitnahe Verwertbarkeit ihrer Forschungsergebnisse, sondern um die Einordnung gegenwärtiger Dynamiken in mittel- bzw. langfristige gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, die Identifikation von Kontinuitäten und Brüchen sowie die Dekonstruktion eingeschliffener Beschreibungsweisen […]. Ein anwendungsorientierter Forscher will mittels Algorithmen ungeordnete Daten in Form bringen, also aus rohen Daten strukturierte Informationen gewinnen, die praktisch verwertbar sind und einen unmittelbaren Neuigkeitswert bieten; ein sozialtheoretisch informierter Gesellschaftswissenschaftler hingegen will übertragbares Wissen generieren und generalisierbare Erklärungen erarbeiten […]. 

Aus ihrer kritisch-distanzierten und synthetisierenden Beobachtungsperspektive kann die Gesellschaftswissenschaft in der aktuellen Diskussion ein notwendiges Gegengewicht zu der verbreiteten Überzeugung bieten, dass blanke Zahlen bei einer hinreichend breiten Datenbasis für sich sprechen […] Je größer indes die verfügbare Datenbasis ist, desto größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, sich zufällig ähnelnde Datenreihen zu finden und daraus Zusammenhänge abzuleiten, die realiter gar nicht vorhanden sind […].

Einige amüsante Beispiele zum letztgenannten Punkt finden sich auf der Seite Spurious Correlations; der Artikel kann hier erworben werden. Texte von mir finden sich auch auf ResearchGate.