Medien in den 1950er Jahren – Teil III: »Vom Fernsehbildschirm führt der Weg ins Bett«
1. Mai 2014Bereits Anfang der 1950er Jahre wurde in der BRD ein allgemeiner Diskurs zu den soziokulturellen Effekten des Fernsehens losgetreten: So befürchtete etwa das Magazin Kirche und Rundfunk 1949, dass sich die Menschen durch das Fernsehen »von Geistesmenschen zu Augenmenschen zurückentwickelten«, und auch Adolf Grimme, damals Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, stand der Television 1953 zumindest ambivalent gegenüber: Seiner Ansicht nach sollte dem neuen Medium nur dann eine längerfristige Bedeutung zukommen, falls »der Mensch auf dem Umweg über das Sehen in die Ferne wieder zu sich selbst kommt«:
»Denn durch die Zauberschale wird die Ferne zur Nähe werden, und der Raum zwischen den Ländern wird aufgehoben sein. Das Schicksal der Anderen wird künftig mitten in unserer eigenen Stube stehen, und das Fernsehen kann so aus dem Entfernten unseren Nächsten machen.«
Und auch der Spiegel hob 1953 anlässlich der Krönung von Elisabeth II. zum einen die egalisierende Kraft der neuen »Zauberschale« hervor: »Während früher nur 7000 auserlesene Repräsentanten die Krönung zu sehen bekamen, erlebten diesmal mehr als 20 Millionen Europäer die Zeremonie wie von einem Platz in der Poszeniumsloge.«
Bildquelle: Spiegel 47/1957, via http://medienkompetenzrevisited.com
Zum anderen beklagte Martin Morlock in seiner wöchentlichen Kolumne Telemann im Spiegel aber auch in aller Regelmäßigkeit die realitätsverzerrende Wirkung von TV-Übertragungen: »Was mit Bedacht vor eine Elektrokamera tritt, passt sich an«. Zudem schrieb Arthur Müller in Rundfunk und Fernsehen dem neuen Medium bereits 1957 – ähnlich wie später z.B. Jean Baudrillard – eine einschläfernde Wirkung zu:
»Aus dem Theater oder dem Kino kann man sich die Menschen zu Taten oder Untaten aufbrechend vorstellen. Vom Fernsehbildschirm führt der Weg ins Bett und – wenn es hoch kommt – am nächsten Tag zu einer lauwarmen Diskussion, die bald versiegt.«
Um eine Kino- oder Theatervorstellung besuchen zu können, muss der Zuschauer in die Öffentlichkeit treten; ferngesehen wird hingegen wird allein oder im familiären Kreis. Während Kino und Theater zum Austausch anregten, so sah es auch Günther Anders (1956), lautet der strukturelle Imperativ des Fernsehens »Don’t talk back«. Ähnliche Thesen vertraten auch andere zeitgenössische Beobachter wie z.B. Henry Cassirer oder Karl Holzamer.
Vieles, was in den kultur- und konsumkritischen Debatten der 1960er und 1970er Jahre thematisiert wurde, tauchte insofern bereits in den Diskussionen um die Einführung des Fernsehens in der BRD der 1950er Jahre auf, wobei insbesondere die Veränderung des Gleichgewichts zwischen öffentlichem und privatem Leben hervorgehoben wurde.
Ebenfalls schon in dieser Zeit erörtert wurde die mutmaßliche Ablösung bisheriger Kommunikations- und Informationskanäle durch das neue Medium Fernsehen. So stellte Rundfunk und Fernsehen 1956 die Frage:
»Könnte man nun unter alle bisherigen Werkformen von Presse, Rundfunk und Film einen Schlussstrich ziehen und darunter schreiben: Fernsehen?«
Demgegenüber merkte freilich der Medienwissenschaftler Eberhard Beckmann bereits 1954 an, dass in der Vergangenheit bislang kein ›altes‹ vollständig durch ein ›neues‹ Medium substituiert wurde:
»Auch […] das Theater, die Zeitung, der Film sind ins Leben getreten, ohne böse Folgen für andere, ein Ganzes ist aus dem Vielen geworden. Uns bleibt nur der Schluss, dass die Erlebnisfähigkeit des modernen Menschen wenn nicht tiefer so weiträumiger geworden ist als die unserer Väter.«
Und tatsächlich lässt sich für die ausgehenden 1950er Jahre – auch aufgrund der wirtschaftlichen Großwetterlage – eine Ausweitung der Medienrezeption beobachten: Sowohl die Zahl der Erst- und Neuauflagen im Büchersektor, der Theaterbesuche pro Spielzeit, die Zahl der Radioteilnehmer als auch die Verkaufsauflagen der Tages- und Wochenzeitungen steigerten sich zwischen 1952 und 1962 kontinuierlich. Lediglich die die jährliche Zahl an Filmbesuchen pro Kopf verringerten sich zwischen 1956 und 1959 um rund 20 Prozent – das aber ließ sich nach Ansicht damaliger Kommentatoren wie z.B. Walter Schmieding nicht nur mit dem Aufkommen des Fernsehens begründen, sondern auch mit dem Maß an seichter wie beliebiger Unterhaltung, das der bundesdeutsche Kinobetrieb zu dieser Zeit vordringlich offerierte: »Wenn so viele Kinobesucher zu den Fernsehapparaten abwanderten, dann war das nur möglich, weil der Film seine Anziehungskraft bereits früher verloren hatte.«.
Literatur
Anders, Günther (1956): Die Welt als Phantom und Matrize. In: Ders.: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 1, 97–211.
Bartz, Christina (2002): »Spiegel« und Zauberspiegel. In: Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter: Medienkultur der 50er Jahre, 155–176.
Beckmann, Eberhard (1954): Buch – Funk – Fernsehen. In: Rufer und Hörer 8/1954, 504–513.
Cassirer, Henry R. (1956): Das Menschliche im Fernsehen. In: Rundfunk und Fernsehen 1/1956, 121–126.
Grimme, Adolf (1953): Das Soll des Fernsehens. In: Ders.: Die Sendung der Sendungen des Rundfunks, 72–78.
Holzamer, Karl (1957): Ein Optimum, nicht ein Maximum des Schaubaren. In: Rundfunk und Fernsehen 2–3/1957, 131–135.
Möller, Jürgen (1956): Das Fernsehen und seine Beziehungen zu Presse, Rundfunk und Film. In: Rundfunk und Fernsehen 3/1956, 225–232.
Morlock, Martin (1961): Telemann. Ein gewisses Lächeln. In: Der Spiegel 10/1961, 86.
Müller, Arthur (1957): Fernsehen und Film. In: Rundfunk und Fernsehen 2–3/1957, 122–130.
o.V. (1949): Der Wettstreit zwischen Auge und Ohr. In: Kirche und Rundfunk 1(20), 5.
o.V. (1953): Salzkörner und Wasserflöhe. In: Der Spiegel 24/1953, 30–32.
Schildt, Axel (1999): Massenmedien im Umbruch der fünfziger Jahre. In: Wilke, Jürgen (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 634–648.
Schmieding, Walter (1961): Kunst oder Kasse. Der Ärger mit dem deutschen Film.