Heute ist die Zukunft von gestern VII: »Das universelle Informationsterminal« ’72
2. April 2012Vergangene Vorhersagen sind eine interessante Lektüre, nicht nur weil sie vor Augen führen, wie sich auch wissenschaftliche Auguren verschätzen können (oder eben auch nicht): Sie zeigen überdies, dass viele Hoffnungen und Ängste nicht erst in den aktuellen Debatten um neue Medien entstanden sind. Diesmal ist ein Text von Karl Steinbuch zur »Massenkommunikation der Zukunft« an der Reihe, zu finden im Sammelband Forschung ’72 – Berichte aus Wissenschaft und Technik, herausgegeben von der Zeitschrift Umschau in Wissenschaft und Technik (Frankfurt a.M. 1971: Fischer).
Folgende neue Massenkommunikationsmittel sah Karl Steinbuch 1971 am Horizont aufziehen (S. 202f.) – in etwa in der »Reihenfolge der praktischen Einführung«:
- »Die Bildkassette«
- »Die immateriell zugestellte Zeitung«
- »Das direkte Satellitenfernsehen«
- »Das universelle Informationsterminal«
Die Videokassette und das Satellitenfernehen sind relativ tatsächlich zügig eingeführt worden, ›schwieriger‹ hatte es dagegen die »immateriell zugestellte Zeitung«:
»Hierbei wird die Fernsehtechnik, möglicherweise über Draht, dazu benutzt, das Abbild der Zeitung ins Haus zu transportieren, wo es dann auf photoempfindlichem Papier fixiert wird. […] Eine solche Technik des immateriellen Transports mag im Augenblick noch unökonomisch erscheinen, aber die sinkenden Kosten für Geräte und die steigenden Kosten für die materielle Beförderung könnten diese Verhältnisse in wenigen Jahren umkehren. […] Wenn diese Vermutung zutrifft, dann wird sich das Zeitungswesen weiter polarisieren: Einerseits große Zeitungsverlage, welche ihre Produkte immateriell vielem Abonnementen sehr rasch zustellen können und dadurch praktisch ein Oligopol für aktuelle schriftliche Berichterstattung begründen, und andererseits kleinere Zeitungsverlage, welche keine schriftlich fixierte Berichterstattung hoher Aktualität mehr liefern können.«
Das »universelle Informationsterminal« hingegen kommt dem heutigen Internet sowohl in stationärer als auch mobiler Fassung erstaunlich nahe:
»Es ist zu vermuten, dass […] [die technischen Entwicklung] schließlich zu einem universellen Informationsterminal führt, das nicht nur der Kommunikation mit dem Computer dient, sondern alle informationellen Dienste übernehmen kann […]. Es gibt keinen ernsthaften Grund für die Annahme, dass die verschiedenen Dienste wie Telephon, Fernsehen, Computeranschluß, Fernschreibanschluß usw. immer unabhängig voneinander sein werden. Bei dem universellen Informationsterminal sind zwei Varianten zu unterscheiden:
- [.] das ortsfeste, das in der Wohnung oder im Büro installiert ist […],
- [.] das mobile Terminal, das […] am Körper getragen wird […].«
[…] Jeder Mensch kann zu jeder Zeit und an jedem Ort in Bild und Ton erreicht werden und in Bild und Ton Antwort geben. Er hat auch die Möglichkeit, von Computern [..] jede beliebige Information zu jeder Zeit und an jedem Ort abzurufen. […] Ein voll funktionsfähiges informationelles Verbundnetz für die Öffentlichkeit ist kaum vor 1985 zu erwarten.«
Die Befürchtung, dass das Gutenberg-Zeitalter mit den elektronischen Medien nunmehr ein jähes Ende finden könnte, war indes auch schon in den beginnenden 1970er Jahren verbreitet. Steinbuch mahnte diesbezüglich zur Gelassenheit und stellte dabei auch die Vorteile des Buches gegenüber anderen Medien heraus (S. 207):
»[Der vorherige Abschnitt] verwies darauf, daß das Buch zu einem beliebigen Zeitpunkt konsumiert werden kann (off-line). Eine genauere Betrachtung zeigt aber einen darüber hinausgehenden Vorteil des Buches: Bei der Lektüre des Buches kann der Leser seine Fortschrittsgeschwindigkeit subjektiv optimal einstellen, er kann schwierige Teile beliebig oft repetieren und kann ganze Seiten überschlagen. Diese Anpassung der Informationsaufnahme ist bei keinem anderen Medium so leicht möglich. […] Das Buch als ästhetisches Produkt (sei es in Form oder Inhalt) wird von der Konkurrenz der elektronischen Medien unberührt bleiben.«
Wichtig sind Steinbuch zum Ende seines Überblickstextes dann freilich weniger die konkreten technischen Ausformungen der Medienentwicklung, sondern vielmehr deren nichttechnische Folgen (S. 208f.):
»Zweifellos müssen wir verhindern, dass der ›große Bruder‹ die Gesellschaft zensiert und manipuliert. Zugegeben, diese Gefahr besteht, aber zugleich muß man auch die entgegensetzte Gefahr sehen, die ›andere Pollution‹«. […] Die immaterielle Pollution, die Lawine an publiziertem Gift […] hat leider noch nicht in dem Maße das öffentliche Bewußtsein erreicht. Es ist zu fürchten, daß angesichts der enormen zukünftigen Möglichkeiten der Massenkommunikationsmittel diese Giftlawine noch zunehmen und zu einer Belastung unserer Gesellschaft wird, die mit der Verpestung von Luft und Wasser vergleichbar ist.
[…] Besonders im Hinblick auf die zukünftigen informationellen Verbundnetze entstehen unvorstellbare Möglichkeiten der Manipulation. […] Ich glaube, man muß die Entstehung einheitlicher, zentralistischer Systeme rechtzeitig unterbinden und bereits in den Installationen die zukünftige Liberalität verankern.«
Diesen Wunsch – so lässt sich heute vermutlich trotz aller Bedenken im Detail formulieren – hat das Web in seiner grundsätzlichen Architektur erfüllt.