Splitter: Alternative ≠ partizipative Medien

7. Januar 2012

Hin und wieder geraten eigentlich erhellende Texte nach einen kurzen Anlesen zu Unrecht in Vergessenheit, da sie nicht direkt zu dem gerade verfolgten Thema passen oder aus der eigenen Sicht zunächst durch ein allzu plattes Vokabular auffallen. Ein Beispiel für einen solchen Text ist in meinem Fall ein Artikel von Marisol Sandoval, der unter dem Titel »Warum es an der Zeit ist, den Begriff der Alternativmedien neu zu definieren« diesen Herbst in der Zeitschrift für marxistische Erneuerung und im Handbuch Alternativmedien erschienen und mittlerweile auch online abrufbar ist.

In diesem Artikel setzt sich die Autorin aus marxistisch-kritischer Sicht mit der verbreiteten These (z.B. Gillmor 2004) auseinander, dass die Konsumenten bzw. Rezipienten durch die neuen Medien technikvermittelt vom Rand ins Zentrum der Medienlandschaft gerückt seien bzw. zunehmend »die Kontrolle über die mediale Berichterstattung zurückgewinnen«, und fordert angesichts eines Marx-Zitates, das die Presse selbst als »öffentliche[n] Wächter« und »unermüdlichen Denunziant[en] der Machthaber« bezeichnet, dezidierter zwischen partizipativen und alternativen Medien zu unterscheiden: Partizipative seien nicht mit alternativen Medien gleichzusetzen und alternative Medien müssten nicht automatisch partizipative Medien sein.

Sandoval führt im Kern des Artikels anhand von Fallbeispielen drei Einwände gegen ein Verständnis alternativer Medien als nicht-kommerzielle, partizipative Medien auf:

»Erstens abstrahiert ein exklusiver Fokus auf partizipative Produktionsprozesse vom Resultat des Produktionsprozesses und vernachlässigt damit die Frage, inwiefern die Inhalte alternativer Medien herrschaftskritischen Ansprüchen entsprechen. […]

Ein zweiter wesentlicher Grund, der gegen ein Verständnis alternativer Medien als partizipative Medien spricht ist, dass alternative Projekte nicht außerhalb des Kapitalismus stehen und sich daher nicht vollständig von ökonomischen Zwängen befreien können. […] Damit ein alternatives Onlinemedium in der Flut von Informationen und Webseiten sichtbar bleibt, sind gerade im Internet finanzielle Mittel nötig, um das Onlineangebot zu bewerben und sichtbar zu machen. […]

Eine dritte Einschränkung des dominanten Paradigmas der Alternativmedientheorie besteht darin, dass eine Definition alternativer Medien als zwangsläufig nicht-kommerziell und partizipativ organisiert sehr exklusiv ist und damit jene Publikationen ausschließt, die emanzipatorische Ansprüche verfolgen und in ihren Inhalten herrschaftskritisch, zugleich aber professionell organisiert sind. […]«

Eine daran anknüpfende dialektische Betrachtung alternativer Medien kommt zu dem Schluss, dass »es [.] für alternative Medien durchaus möglich [ist], herrschaftskritisch im Inhalt zu sein und dennoch ein großes Publikum […] zu erreichen«:

»Angesichts der derzeitigen Dominanz des Paradigmas der Partizipation innerhalb der Alternativmedientheorie erscheint es notwendig, auf dessen Begrenztheit zu verweisen und zu betonen, dass Alternativität nicht zwangsläufig auch Marginalität bedeuten muss. […] Der Verweis auf partizipative Produktionsprozesse als Definitionskriterium alternativer Medien greift zu kurz […] weil ein solches Verständnis sehr exklusiv ist und […] den Fokus beinahe ausschließlich auf kleine, in der öffentlichen Debatte marginale Alternativmedien lenkt. […] Darüber hinaus bleibt ein Partizipationsbegriff, der sich nur auf die Fähigkeit bezieht, zu sprechen ohne gehört zu werden, zu diskutieren, ohne zu entscheiden, letztlich sehr beschränkt. […]«


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