Künstliche Intelligenz ist ein zentrales Thema der Zukunft; der Einfluss der großen Social-Media-Plattformen und der dahinter stehenden Tech-Konzerne auf Politik, Öffentlichkeit und Alltagskommunikation (wie auch auf unser Verständnis von Wirklichkeit) ist schon lange eine der drängenden Herausforderungen der Gegenwart, auf die bislang – trotz Digital Markets Act und Digital Service Act in der EU – noch keine hinreichenden Antworten gefunden worden sind.
Mehr noch: Tech-Mogule wie Mark Zuckerberg (Meta) oder Elon Musk (X) verfügen nicht nur innerhalb ihrer Unternehmen über die entsprechende Machtfülle, um fundamentale Regulationsmuster auf den Plattformen nach ihren persönlichen Prioritäten umzugestalten, sondern inzwischen auch außerhalb ihrer Konzerne über die politische Kraft und die finanziellen Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen – etwa mit Blick auf die staatliche Anwendung und Regulierung von KI (The Verge titelte in diesem Sinne jüngst: »Welcome to the era of gangster tech regulation. Our tech overlords all have problems, and they want to buy the solutions«).
Ulrich Dolata und ich haben uns in den letzten Jahren regelmäßig mit dem Einfluss digitaler Plattformen bzw. der dahinterstehenden Konzerne auf gesellschaftliche Koordinations- und Kommmunikationsprozesse beschäftigt (z.B. in Innovation, KZfSS) und die Machtdifferenziale zwischen den betreibenden Technologieunternehmen und den vielfältigen sozialen Akteuren herausgearbeitet, die sich in plattformbasierten Kommunikations- und Handlungsräumen bewegen – so zuletzt in dem Suhrkamp-Band »Theorien des digitalen Kapitalismus« (344–363). Einige Ausschnitte:
Gerade ist der Band »Utopien im Unterricht. Theoretische Verortungen – Fächerperspektiven – praktische Beispiele« (herausgegeben von Heinrich Ammerer, Margot Anglmayer-Geelhaar, Robert Hummer und Markus Oppolzer, Open Access) erschienen: »Im ersten Teil des Bandes führen fachübergreifende Grundlagenbeiträge aus verschiedenen Disziplinen in den Themenkomplex ein und bieten sowohl Schlaglichter auf Erscheinungsformen des Utopischen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten als auch grundlegende Definitionen zentraler Begriffe. Die anschließenden fachdidaktischen Beiträge loten den Beitrag der jeweiligen Disziplin zur Entwicklung eines reflektierten Umgangs mit Utopien aus und stellen methodische Zugänge für den Unterricht (inklusive eines Praxisbeispiels) vor.«
Mein Beitrag im Band setzt sich mit digitalen Technikutopien auseinander und kommt zu dem Schluss, dass sich im aktuellen Diskurs (z.B. unter dem Stichwort ›künstliche Intelligenz‹) »viele Erwartungen widerspiegeln, die bereits in früheren Phasen der Computerisierung, Datafizierung und Digitalisierung diskutiert worden sind – von der Angst vor einer Invasion der Privatsphäre bzw. einem Autonomieverlust des Menschen bis hin zu vielfältigen positiven Visionen einer technikbeförderten Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen (z.B. Klimakrise) […]. Und ähnlich wie in früheren Phasen technologischen Umbruchs treten auch heute die Figuren des berauschten Evangelisten, des besorgten Apokalyptikers und des praktisch Integrierten auf […].« Den Sozialwissenschaften spricht der Beitrag gerade im gegenwärtigen Stadium eine zentrale Rolle zu:
»Aus ihrer kritisch-distanzierten Perspektive können sie zum ersten ein Gegengewicht zu der verbreiteten Überzeugung bieten, dass technische Strukturen per se die Lösung grundsätzlicher gesellschaftlicher Probleme einleiten könnten und blanke Zahlen bei einer hinreichend breiten Datenbasis für sich sprechen.
Mitte Oktober ist die 19. Shell Jugendstudie erschienen. Sie basiert auf standardisierten Interviews mit 2.509 Jugendlichen zwischen 12 bis 25 Jahren, die Anfang 2024 durchgeführt wurden, sowie einer vertiefenden qualitativen Studie mit 20 Jugendlichen. Im ausführlichen Studienband findet sich auch ein Kapitel zum »Leben in der digitalen Informationsgesellschaft« (S. 167–184), das u.a. mit folgenden Einsichten aufwarten kann:
Twenty-first-century Western culture is characterized by profound transformations in its forms of collective organization. While traditional institutions of Western liberal democracies still wield significant political power, new forms of collective agency – most visible in progressive social protest movements, but also in the global rise of populism – have increasingly put pressure on established systems of collective organization. The contributors to this volume explore the social, political, and aesthetic forms that collective agency takes in the twenty-first century across a variety of media, including social platforms such as TikTok, multiplayer video games, and contemporary lyric poetry.
Die sehr lesenswerte Dissertation des Organisations- und Techniksoziologen Moritz Becker ist nun unter dem Titel »Die Praxis der Digitalen Organisation« als Buch erschienen. Aus dem Klappentext:
»Dezentrale Autonome Organisationen (DAOs) sind ein neues Organisationsmodell, das auf der algorithmischen Festschreibung von Regeln in einem blockchainbasierten Softwareprogramm basiert. Ihr Versprechen: Eine alternative Art und Weise des Organisierens zu ermöglichen, die sich durch nichthierarchische (›dezentrale‹) Zusammenarbeit und umfassende technologische Koordination auszeichnet. Als Musterbeispiel der ›Governance durch Algorithmen‹ verdeutlichen DAOs, dass in der digitalisierten Gesellschaft immer häufiger Konstellationen auftreten, in denen algorithmische und menschliche Handlungsmacht aufeinandertreffen. In dem vorliegenden Buch wird vor diesem Hintergrund untersucht, wie algorithmische Governance der eingesetzten Softwareprogramme und die Autonomie menschlicher Handelnder in der Organisationspraxis von DAOs zusammenwirken.«
Die umfangreichen Untersuchungen kommen u.a. zu dem Schluss (Kapitel 10),
»[…] dass sich neue, vermeintlich ›digitale‹ Organisationsmodelle weniger als akzentuierter Bruch mit bisherigen Organisationsformen darstellen, als vielmehr zahlreiche Kontinuitätslinien mit bekannten Formen des Organisierens aufweisen. Dies wird am Fall der DAOs besonders deutlich, die sich anstelle einer klaren ›Maschinenhaftigkeit‹ und algorithmischer, bürokratischer Steuerung vielmehr zwischen derart klassisch ›modernen‹ und ›postmodernen‹ Prinzipien verorten lassen. Ihr wesentliches Charakteristikum besteht gerade darin, diese vermeintlich gegensätzlichen Organisationsprinzipien im Alltag zu vereinen.
[…] Diese Erkenntnisse bergen wichtige Implikationen für verschiedene aktuelle Forschungsdiskurse: Erstens relativieren sie die Versprechen einer Dezentralisierung von Einflusspotentialen und einer zwingenden Regelsetzung, die in der aktuellen Forschungsdiskussion mit DAOs und der Blockchain-Technologie verknüpft werden. […] Zweitens stellen sie erstmals eine soziologische Perspektive auf DAOs als algorithmischer Governance-Technologie bereit. […] Ihr spezifischer Beitrag liegt dabei gerade in der Verbindung einer abstrakten technischen Charakterisierung der Technologie mit empirischen Einsichten zu ihrem Einsatz in Organisationen.«
In der Ära der digitalen Medienkonvergenz hat die ARD/ZDF-Forschungskommission das Richtige getan und die seit Mitte der 1960er-Jahre erhobene Langzeitstudie Massenkommunikation und die seit 1997 erhobene ARD/ZDF-Onlinestudie zusammengelegt. Damit finden sich umfangreiche repräsentative Daten zum Wandel der Mediennutzung in Deutschland künftig gesammelt in der ARD/ZDF-Medienstudie, die vermutlich auch in den kommenden Jahren zum Herbstbeginn publiziert wird. Die Ergebnisse der Studien seit 1997 finden sich im Archiv der angeschlossenen Fachzeitschrift Media Perspektiven.
Die aus Langfristperspektive eher weniger überraschenden Ergebnisse der 2024er-Studie (Erhebungszeitraum: Februar bis Mai 2024) finden sich hier: