Kurz notiert: Luhmann@Risiko

3. Mai 2020

In einem Interview aus dem Jahr 1989 (im Video ab ca. Min. 35.44) äußerte sich Niklas Luhmann wie folgt zu (politischen) Entscheidungen in Risikosituationen:

»In welches Funktionssystem man immer schaut, die Probleme des Risikos nehmen eine andere Färbung an – aber letztlich geht alle darauf zurück, dass wir sehr viel mehr entscheiden, sehr viel mehr bewirken und damit eine sehr viel unsicherere Zukunft erzeugen können.

Ich stelle mir vor, dass in der momentanen Situation doch die Frage immer wieder auf die Politik zuläuft und dass wir den liberalen Verfassungsstaat ebenso wie den sozialen Wohlfahrtsstaat unter ganz neue politische Anforderungen stellen, wenn wir sagen: Ihr müsst zwischen notwendigen Risiken und Betroffenheiten balancieren und sozusagen das Risiko einer politischen Entscheidung übernehmen, dem einen weh zu tun oder dem anderen – aber nicht gleichsam das Volkswohl insgesamt anzuheben und allen etwas Gutes zu tun.

Das ist eine andere Situation als die Freiheitskonzepte des liberalen Verfassungsstaates, die davon immer ausgingen, dass man frei handeln könne ohne anderen zu schaden – diesen Fall gibt es nicht, die ganze Prämisse des liberalen Verfassungsstaates ist weg, das gibt es unter Risikoaspekten nicht: Immer schadet möglicherweise ein Verhalten anderen. Und auch der Wohlfahrtsstaat, in dem es einfach immer nur um die Verteilung von guten Dingen ging, ist irreal angesichts der Risikosituation. Das heißt nicht, dass diese Einrichtungen abgeschafft werden könnten, aber es kommen neue Probleme auf die Politik zu und es ist ein Test für Demokratie in gewisser Weise, ob wir das schaffen.«

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Corona-Krise und Soziologie (7)

27. April 2020

Jutta Allmendinger legt der Politik nahe, ihre Entscheidungen nicht nur auf virologische Expertise zu gründen, sondern auch sozialwissenschaftliche Bewertungen einzubeziehen (23.4.2020, hr_info). Jenseits bereits unmittelbar beobachtbarer Rückwirkungen (z.B. auf den Arbeitsmarkt; vgl. eine Studie der Hans Böckler Stiftung) steht die Soziologie dabei allerdings vor dem Problem, dass sich die gesellschaftlichen Folgen und Konsequenzen der Krise heute noch gar nicht absehen lassen, da diese erst das Resultat vielschichtiger interagierender politischer, sozialer bzw. ökonomischer Entwicklungsprozesse auf regionaler und globaler Ebene im Verbund mit weiteren nicht vorhersagbaren Dynamiken sein werden.

Dass die Zukunft grundsätzlich ungewiss bleibt und gegenwärtige Entscheidungen stets unter den Bedingungen dieser Ungewissheit getroffen werden (müssen), ist dabei ein gesellschaftswissenschaftlicher Gemeinplatz. Die gefühlte Intransparenz und Unplanbarkeit des Künftigen erreicht in der individuellen Lebensführung wie auch in der sozialwissenschaftlichen Beobachtung derzeit nichtsdestominder ein neues Plateau – und so bleiben soziologischen Kommentatorinnen und Kommentatoren letztlich einzig die Modi des Hoffens und der Befürchtens bzw. Aussagen des Vielleichts und des Ungefähren. Das zeigt sich auch in den hier dokumentierten Stimmen der Woche:

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Corona-Krise und Soziologie (3): Digitalisierung

28. März 2020

Soziopolis ist nun in die Dokumentation soziologischer Stimmen zur Corona-Krise eingestiegen (u.a. auch auf Grundlage der Sammlung hier). In dieser Übersicht noch nicht reflektiert werden die Eingaben von Hartmut Rosa, der die aktuelle Krise vor allen Dingen auch als Chance zur Entschleunigung und zum Innehalten beschreibt (»Plötzlich guckt man intensiv aus dem Fenster und sieht die ersten Blüten […]«, tagesspiegel) – in Gesprächen aber langsam feststellen muss, dass dies allenfalls für die privilegierten Teile der Bevölkerung mit eigenem Garten und stabilem Einkommen gilt (taz, swr2, sz). Mit Sicherheit werden seine Äußerungen in der nächsten Folge der Soziopolis-Reihe aufgegriffen werden.

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Corona-Krise und Soziologie (2)

20. März 2020

Mit jedem weiteren Tag zeichnet sich immer deutlicher ab: Die Corana-Krise wird das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische bzw. öffentliche und private Leben nicht nur für einige Wochen, sondern für viele Monate und Jahre prägen – und es gehört nicht viel dazu, um vorherzusagen: Das ist ein Einschnitt, an den wir unser ganzes weiteres Leben immer wieder zurückdenken werden. Ich möchte an dieser Stelle wie schon im letzten Post einfach, unkommentiert und naturgemäß selektiv einige Stimmen dazu aus der Soziologie dokumentieren, die in dieser Zeit auch eine seismographische Funktion erfüllt (bzw. einnehmen sollte):

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ARD/ZDF-Onlinestudie 2019: Kernergebnisse

11. Oktober 2019

In dieser Woche ist die aktuelle ARD/ZDF-Onlinestudie erschienen, die bereits seit 1997 erhoben wird und insofern einen guten Überblick zu den langfristigen Verschiebungen im medialen Nutzungsverhalten bietet. Einige Kernergebnisse:

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