»Schrape gelingt es, die Aspekte der digitalen Transformation ausführlich zu strukturieren und zu diskutieren. Zahlreiche Beispiele veranschaulichen seine Ausführungen. Auch wenn seine Überlegungen auf die Entwicklungen in der westlichen Welt beschränkt bleiben, wie er selbst kritisch anmerkt, zeigt das Buch doch, von welchen Ambivalenzen die digitale Transformation gekennzeichnet ist. Damit bietet es genügend Argumente, um sowohl den Apologeten als auch den Apokalyptikern der Digitalisierung entgegenzutreten. In einer Empörungsgesellschaft sind Bücher wie dieses, das aktuelle Phänomene nüchtern beschreibt und analysiert, für Diskussionen in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen unverzichtbar.«
Die Liste der Veranstaltungen im Rahmen des 41. DGS-Kongresses in Bielefeld (»Polarisierte Welten«) ist lang und deckt mehr oder minder das gesamte Spektrum der soziologischen Forschung ab. Zu den Themen Digitalisierung, Technik und Innovation finden sich diesmal u.a. folgende Sessions im Programm:
»So vermittelt dieses Studienbuch kompakt, transparent und gründlich ohne Frage ein ›Gespür für den Gesamtzusammenhang von Technik und Gesellschaft‹, wie es im Resümee (202) heißt […]. Dabei ist ihm eine Einführung in und ein Überblick über die Thematik der Digitalisierung gelungen, wie sie in dieser argumentativen Stringenz und strukturierten Konsequenz, theoretischen Komplexität und Pluralität, thematischen Breite und Vielfalt und vor allem im gründlichen Verständnis für historische Prozesse und gesellschaftliche Entwicklungen in der Tat (zumindest deutschsprachig) noch nicht vorgelegen hat.«
Inzwischen sind fast alle Beiträge des 62. Sonderhefts der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS) ›online first‹ in Open-Access-Form erschienen. Die Beiträge des Sonderhefts mit Titel »Internet, Big Data und digitale Plattformen: Politische Ökonomie – Kommunikation – Regulierung« (hg. v. U. Dolata & J.-F. Schrape) befassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln – empirisch, theoretisch und historisch rekonstruierend – mit den organisationalen, sozioökonomischen und regulativen Eigenheiten des plattformbasierten Internets, analysieren dessen Auswirkungen auf die politische Kommunikation und Öffentlichkeit, untersuchen die Lebenszyklen und Ausprägungen von vorderhand offen strukturierten Online-Gemeinschaften und diskutieren zentrale methodologische Herausforderungen für die empirische Sozialforschung, die mit dem rasant anwachsenden Bestand an (oft in privatwirtschaftlichen Zusammenhängen generierten) digitalen Daten verbunden sind (vgl. Einführung in das Heft).
Themenfeld 1: Politische Ökonomie und Organisation
Das heutige Internet wird durch privatwirtschaftlich betriebene Plattformen der unterschiedlichsten Art geprägt. Dieser Beitrag fragt danach, wie sich die kommerziellen Kommunikations‑, Markt‑, Konsum- und Serviceplattformen als distinkte Unternehmensform fassen lassen. Dazu wird eine basale Unterscheidung zwischen (1) den plattformbetreibenden Unternehmen als organisierenden und strukturierenden Kernen und (2) den ihnen gehörenden Plattformen als mehr oder minder ausgreifenden sozialen Handlungsräumen vorgenommen. Während sich Plattformunternehmen als Organisationen im geradezu klassischen Sinne darstellen lassen, konstituieren die von ihnen betriebenen Internetplattformen soziotechnisch strukturierte Sozial‑, Markt‑, Konsum- oder Serviceräume, in denen soziale Akteure zwar auf der Grundlage detailliert ausgestalteter und technisch eingefasster Regeln, aber zugleich variantenreich und eigenwillig interagieren. Die für die Plattform-Architekturen charakteristischen Koordinations‑, Kontroll- und Verwertungsmechanismen zeichnen sich durch eine starke hierarchische Ausrichtung aus, in die Elemente der Kooptation und des orchestrierten Mitwirkens der Nutzer eingelagert sind. Die Plattformunternehmen haben in dieser hybriden Konstellation ein hohes Maß an strukturgebender, regelsetzender und kontrollierender Macht – und verfügen überdies über den exklusiven Zugriff auf das dort produzierte Rohmaterial an Daten. Diese Macht äußert sich auch, aber längst nicht ausschließlich als rigide Kontrolle, als direktiver Zwang oder einklagbare Rechenschaftspflicht, sondern entfaltet sich für die große Zahl regelkonformer Nutzer weitgehend geräuschlos unter der Oberfläche einer (vermeintlichen) Offenheit, die die Plattformen als Markt- und Sozialräume auch auszeichnet.
Der Digital Markets Act und der Digital Services Act der EU – und damit die ersten ernsthaften übergreifenden Regulierungsmaßnahmen gegenüber Internetplattformen in Europa – sind nun (bald) einsatzbereit und Margrethe Vestager, seit 2014 EU-Kommissarin für Wettbewerb und seit 2019 geschäftsführende Vizepräsidentin und Kommissarin für Digitales, kommentiert: »Die Demokratie ist zurück.«