Querverweis: Enzensberger und das Web (Teil 3)
10. März 2014An dieser Stelle etwas verspätet ein Querverweis zu einem Post auf netzpolitik.org, der einen bündigen Überblick zu der Diskussion um Hans Magnus Enzensbergers Boykott-Aufruf »Wehrt Euch!« bietet, in dem er 10 Regeln für die digitale Welt aufstellt. Im Post wird u.a. auf einen Beitrag von Till Westermeyer verwiesen, der – ähnlich wie hier auch schon mal geschehen (»Enzensberger vs. Enzensberger«) – HMEs aktuelle Thesen mit seinem »Baukasten zu einer Theorie der Medien« (1970) konfrontiert:
»Diese ambivalente Utopie der Medien aus den 1970er Jahren ist heute aber nicht nur als historisches Stück interessant, bei dem trefflich darüber diskutiert werden kann, was sich bewahrheitet hat, und was nicht, und jeweils natürlich auch, warum das so ist, sondern auch als Kontrastfolie zu einem Text eines gewissen Hans Magnus Enzensberger, der 2014 in der FAZ erschienen ist […]. Nein, ›Wehrt euch!‹ ist keine sorgsame Ausarbeitung, und auch keine Anleitung zur gegenöffentlichen Nutzung elektronischer Medien. Nein, der Text ist – wenn ich das so sagen darf – ein ziemlich platter Boykottaufruf für alles, was nach 1970 erfunden worden ist. Ein Rundumschlag, der nichts gelten lässt, und erst recht nicht die Politik.«
Ebenso interessant (und mitunter humorig) lesen sich die Kommentare, die sich auf Twitter, netzpolitik.org oder faz.net finden lassen. Strotzen Enzensbergers Ratschläge vor Ironie? Ist der kurze Text schlicht rückwärtsgewandt? Enzensbergers »intellektuelle Privatinsolvenz«? Hat er den Text nur geschrieben, um Martin Schulz eins reinzuwürgen? Don Dahlmann plädiert für eine etwas unaufgeregtere Lesart:
»Ja, das Ding von Enzensberger liest sich im ersten Moment, als sei Karl Kraus kurz mal durchs 21. Jahrhundert gehüpft. Ja, da steht auch provokativer Quatsch drin, der knapp am Trollen vorbeischrammt, aber es ist ja auch nicht das erste Mal, dass er zu diesem Stilmittel greift. Und so ganz unrecht hat er auch nicht. Dafür muss man seinen empörten ›Der will mir mein Handy wegnehmen‹ Blick vielleicht für einen Moment mal erheben und selbigen über den Tellerrand schweben lassen. […]
Enzensberger sieht in der Technologie […] eine Kontroll- und Repressionsapparatur, die den klassischen Freiheitsbegriff des liberalen Bürgertums untergräbt. […] Er verteufelt gar nicht die Technologie an sich, nur das, was andere damit anstellen, bzw. wie diese Technologie dazu genutzt wird, dass er seine Bürgerrechte nach und nach verliert. […] Er weiß wohl, dass derartige Rechte, sind sie einmal verschwunden, sich nicht so leicht wiederherstellen lassen. […] Der Verzicht auf Technologie ändert aber nichts am Status quo, auch wenn er das gerne hätte […].
[…] Das Bedauerliche an dem Text ist eigentlich, dass er so hilflos wirkt. Wenn selbst jemand wie Enzensberger nur noch zu symbolischen Mitteln auffordert, wenn ihm nicht mal mehr ein Angriff auf die Staatsphilosophie gelingt, wenn ihm keine andere Lösung einfällt, als die Technologie zu verbannen, dann ist das schon eine kleine Bankrotterklärung.«