Niklas Luhmann über Werbung
31. August 2013Im Fernsehen, im Radio, im Internet, auf dem Flughafen, in der Innenstadt, entlang der Autobahnen – Werbung ist allgegenwärtig. Und vermutlich weitaus häufiger als es aufgeklärten Europäern lieb sein kann, folgen wir ebendieser in unseren Kauf- und Konsumentscheidungen, denn – wie sich kürzlich in einer Rezension zu der App kaufDA lesen ließ – »an irgendetwas müssen wir uns ja orientieren«.
Auch Niklas Luhmann hat sich im Zuge seiner Reflexionen über die Massenmedien Mitte der 1990er Jahre mit der Werbung beschäftigt und sprach ihr dabei unter anderem die latente Funktion zu, »Leute ohne Geschmack mit Geschmack zu versorgen«. Im Folgenden finden sich einige seiner Thesen zu Werbung, die in vielen Belangen wohl auch heute noch eine hohe Anschlussfähigkeit aufweisen:
Selbsttäuschung: »Die Werbung sucht zu manipulieren, sie arbeitet unaufrichtig und setzt voraus, dass das vorausgesetzt wird. […] Die Werbung deklariert ihre Motive. Sie raffiniert und verdeckt sehr häufig ihre Mittel. Gerade weil der Werber sein Interesse an Werbung offenlegt, kann er um so ungenierter mit dem Gedächtnis und den Motiven des Umworbenen umgehen. Der bewussten Täuschung sind rechtliche Grenzen gezogen, aber das gilt nicht für die eher übliche Beihilfe zur Selbsttäuschung des Adressaten. […] Er wird dann erkennen, dass es sich um Werbung handelt, aber nicht: wie er beeinflusst wird.« (Die Realität der Massenmedien 1996: 85f.)
Opakisierung: »Vor allem die in der heutigen Werbung bildlich ebenso wie textlich dominierende Tendenz zur schönen Form dient dieser Funktion des Unkenntlichmachens der Motive des Umworbenen. Gute Form vernichtet Information. Sie erscheint als durch sich selbst determiniert, als nicht weiter klärungsbedürftig […]. Eine weitere, verbreitete Technik der ›Opakisierung‹ liegt in paradoxem Sprachgebrauch. Zum Beispiel wird nahegelegt, man könne durch Geldausgeben ›sparen‹; oder Artikel werden als ›exklusiv‹ bezeichnet in einer Werbung, die offensichtlich für jedermann bestimmt ist.« (Die Realität der Massenmedien 1996: 87f.)
Erzeugung von Ungewissheit: » […] zunächst kommt es ja darauf an, in ein bereits interessenfixiertes Terrain einzubrechen und eine spezifische Ungewissheit zu erzeugen: Schon dass man überhaupt die Frage stellt, ob oder ob nicht (eine neue Küche angeschafft werden sollte), ist ein Erfolg der Werbung; denn wahrscheinlicher ist ja zunächst, dass der Geist sich nicht mit seiner Küche, sondern mit etwas anderem beschäftigt.« (Die Realität der Massenmedien 1996: 88)
Varietät und Redundanz: »Unter Bedingungen industrieller Produktion ist es ja eher ein Akt der Verzweiflung als der Vernunft, dasselbe nochmals zu kaufen. Man braucht deshalb zusätzliche Unterstützung der Motive, und am besten geschieht dies durch Erzeugung der Illusion, Dasselbe sei gar nicht dasselbe, sondern etwas Neues. Entsprechend liegt ein Hauptproblem der Werbung darin, laufend Neues vorstellen und zugleich Markentreue, also Varietät und Redundanz erzeugen zu müssen. Ein BMW bleibt ein BMW, aber er wird von Modell zu Modell immer besser […]«. (Die Realität der Massenmedien 1996: 94)
Identifikation: »Kultobjekte […] werden als Produktarten kreiert, mit Design und Namen versehen und zugleich in Werbung und Produktion angeboten. […] Die Kultobjekte selbst erzeugen die für Identifikation notwendige Differenz. […] Die Kultobjekte müssen, für kurze Zeit und deshalb desto wirksamer, inszeniert werden.« (Die Realität der Massenmedien 1996: 92f.)
Funktion der Werbung: »Die Werbung mag zwar durch Hoffnung auf Verkaufserfolge motiviert sein. Ihre latente Funktion liegt aber in der Erzeugung und Festigung von Kriterien des guten Geschmacks für Leute, die von sich aus darüber nicht mehr verfügen; also in der Belieferung mit Urteilssicherheit in Bezug auf die symbolischen Qualitäten von Objekten und Verhaltensweisen. […] Diese latente Funktion der Werbung kann dann strategisch genutzt werden, um auf diese Weise den Absatz zu fördern; aber sie wirkt natürlich auch bei denen, die gar nicht kaufen.« (Die Gesellschaft der Gesellschaft 1997: Kap. 5, XX.)
Werbung für Coca-Cola trug ab 1931 wesentlich zu der im westlichen Raum weitgehend einheitlichen Vorstellung eines Weihnachtsmannes mit rotweißer Robe und Bart bei.