Zurück in die Vergangenheit: Btx vs. WWW
7. April 2011Das Internet als Grundidee existierte unter verschiedenen Bezeichnungen schon seit 1969 und ermöglichte militärischen und wissenschaftlichen Institutionen die Datenübertragung von Computer zu Computer. Die breite Öffentlichkeit jedoch sah sich kaum mit solchen Kommunikationsmöglichkeiten konfrontiert und schien auch kein gesteigertes Interesse daran zu entwickeln: Die Deutsche Bundespost etwa startete mit dem Bildschirmtext (Btx) schon 1983 einen interaktiven Onlinedienst und erwartete bis 1986 ca. 1. Mio. Nutzer; tatsächlich jedoch konnten Ende des genannten Jahres nur 60.000 Kunden verzeichnet werden (vgl. Pospischil 1987).
Augenscheinlich hielten es nicht nicht genügend Verbraucher für hinreichend sinnvoll, elektronisch Briefe zu schreiben, einzukaufen, Bankgeschäfte zu erledigen oder Informationen zu recherchieren — und das, obwohl die Deutsche Bundespost schon »die größte Informationsrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks« heraufbeschwor. Dieser Misserfolg mutet zunächst seltsam an, denn eigentlich bot schon Btx viele der Innovationen, die später mit dem WWW assoziiert wurden. Allerdings existierten folgenschwere Einschränkungen: Die Btx-Inhalte wurden auf zentralen Servern ablegt; wer publizieren wollte, musste sich die Rechte dazu erkaufen; die Btx-Nutzer zahlten pro Seitenabruf; die Bedienung gestaltete sich umständlich; und die Angebote waren nicht verknüpft; Btx-Kunden beklagten neben der mangelhaften Usability primär die Menge an Werbeangeboten (vgl. Spiegel 1984).
Der Bildschirmtext war eine gewollte Lancierung von politischer und wirtschaftlicher Seite, aber der Kunde spielte nicht mit. Das massenkompatible Internet hingegen überrumpelte die genannten Funktionssphären: Tim Berners-Lee arbeitete ab 1989 an einem Konzept, das die vorhandenen Netzstrukturen mit einer Vision zur effektiveren Wissensorganisation von Vannevar Bush aus dem Jahr 1945 überblendete: »I just had to take the hypertext idea and connect it to the TCP and DNS ideas and — ta-da! — the World Wide Web«.
Berners-Lee selbst lud 1991 wie folgt im Usenet dazu ein, an seinem Projekt teilzunehmen:
»The WWW project merges the techniques of information retrieval and hypertext to make an easy but powerful global information system. The project started with the philosophy that much academic information should be freely available to anyone.«
Schon anhand dieser Zeilen wird deutlich, dass das Web aus anderen Beweggründen heraus entwickelt wurde wie die Teletex-Dienste (e.g. Btx) der 1980er Jahre: Ziel war der freie Informationsaustausch, die intuitive Wissensverknüpfung, eine dezentrale Organisationsstruktur und die Publikations- und Abrufmöglichkeit für jeden, der einen Computer und ein Modem sein Eigen nannte. Im Vergleich zu den Btx-Diensten waren die finanziellen Zugangsvoraussetzungen auf einem niedrigen Niveau: Natürlich mussten auch die Nutzer der ersten Stunde die Infrastruktur für den Abruf (PC, Modem, Providerkosten) und ggf. die Publikation (Servernutzung) käuflich erwerben und insofern war auch das WWW auch in seiner Frühzeit nie frei von kommerziellen Interessen, die Inhalte aber wurden im Gegensatz zu den Teletex-Diensten durch die early majority selbst bereit gestellt und kommerzielle Angebote taten sich zunächst schwer, Aufmerksamkeit zu erregen.
So notierte Die Zeit noch Mitte 1995: »Glaubt man den Protagonisten, wird es die gesamte Wirtschaftswelt revolutionieren. Allerdings herrscht zur Zeit nichts als Chaos«. Das Internet galt als Medium für den freien Datenaustausch, das weder politisch noch wirtschaftlich gesteuert wurde. Eine in diesem Kontext gerne verbreitete Anekdote berichtet, dass Bill Gates in der Erstausgabe seines Buches zur digitalen Zukunft »The Road ahead« von 1995 das Internet mit keiner Silbe erwähnte.
Diese kurze Rekapitulation der Vorgeschichte des Online-Booms zeigt auf, dass sich die Erfahrungen der frühen Onliner am Ehesten unter dem Begriff »Freiheit« subsumieren ließen: Es existierte kein zentraler Monopolanbieter, Inhalte waren flexibel abrufbar und die etablierten Funktionssphären hatten noch keine adäquaten Kommunikationsmodi gegenüber der Online-Sphäre gefunden. Und auch heute, rund 20 Jahre nach der Erfindung des World Wide Web, haben sich viele Fragmente dieser freiheitlichen Strukturen erhalten: Sicher, Werbung ist aus dem Web nicht mehr wegzudenken und proprietäre Mobile Devices bzw. Computersysteme sind wieder auf dem Vormarsch (z.B. Apple iPad), aber Kernerrungenschaften wie der freie Abruf von vielen Inhalten, deren Vernetzung, die Publikationsmöglichkeiten für jedermann/frau, der gesteigerte Einfluss der Nutzer auf die Fortentwicklung von Produkten und die letztlich noch immer dezentrale Organisation des Internet sind uns erhalten geblieben.