Apple Vision Pro – The Next Big Thing?
24. Januar 2024Ab dem 2. Februar werden in den USA die ersten User das Apple Vision Pro-Headset in den Händen halten, welches das Tech-Unternehmen als den Beginn einer neuen Ära des Spatial Computings vermarktet. Groß und schwer ist das Gerät auf jeden Fall, soviel ist bekannt. Aber ist die Apple Vision Pro auch »the next big thing«, das tatsächlich eine neue Ära der Computer- und Mediennutzung einleiten wird?
Ein Blick zurück führt vor Augen, dass Vorhersagen zur Diffusion und zum Erfolg neuer Technologien oder Consumer Devices mindestens schwierig – wenn nicht gar unmöglich – sind. Das Apple iPhone ist das beste Beispiel dafür: Weder Microsoft noch Nokia oder andere damals dominante Unternehmen im Mobilfunkbereich konnten sich vorstellen, dass sich dieses für den damaligen Markt viel zu kostspielige Produkt auf breiter Front durchsetzen könnte. Auch in deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen dominierte die Skepsis, so z.B. mit Blick auf die im Vergleich zu klassischen Handys eher geringe Akkulaufzeit. Es sollte bekanntlich anders kommen.
Die bisherigen Stimmen zur Apple Vision Pro zeichnen ein ambivalentes Bild: Einige Vorabtesterinnen und -tester vermitteln auf der einen Seite ein hohes Maß an Faszination gegenüber dem Apple-typischen Gesamtpaket aus Hardware, Design und Software. So gut habe das noch kein anderes Unternehmen hinbekommen; das Eintauchen in selbst aufgenommene 3D-Fotos und Videos oder 3D-Filme (z.B. aus dem Star Wars-Franchise) sei ein unvergleichliches Erlebnis. Auf der anderen Seite werden eine Reihe an Rückfragen gestellt: Ist das wirklich eine neue Produktkategorie? Reicht der technische Vorsprung gegenüber anderen VR/AR-Headsets? Ist die Apple Vision Pro angesichts ihres hohen Gewichts alltagstauglich? In welchen alltägliche Situationen macht ihr Einsatz überhaupt Sinn? Was ist die Killer-App? Und: Warum sollte der durchschnittliche User bereit sein, mindestens 3.500 Dollar dafür auszugeben?
Bleibt die Apple Vision Pro also vielleicht eher ein Nischenprodukt? Muss sie erst einmal preisgünstiger werden (das iPhone ist übrigens mit den Jahren eher teurer geworden)? Müssen sich erst einmal klare Anwendungsfelder herauskristallisieren? Oder muss sich die Gesellschaft erst an diese neue Produktkategorie gewöhnen?
Aus Sicht der Innovationssoziologie ist die Antwort auf all diese Fragen erst einmal recht einfach, denn der Blick zurück auf vergangene Innovationsprozesse lehrt uns: Die gesellschaftliche Diffusion von Innovationen lässt sich schlicht nicht vorhersagen, da viel zu viele genuin gesellschaftliche Faktoren und Kontextentwicklungen in diese Verbreitungsdynamiken hineinspielen. Hätte Apple etwa bereits vor dem Ausbruch der Pandemie die Produktentwicklung finalisiert und ein entsprechendes Produkt ab Frühjahr 2020 vermarkten können, wären die Rahmenbedingungen andere gewesen.
Orientierende Hinweise auf die Frage, wann sich eine Produktinnovation jenseits von early adopters durchsetzen können, liefert der Innovationsforscher Everett M. Rogers (1931–2004), der mit zahlreichen Innovationsprozessen auf unterschiedlichen sozioökonomischen Feldern auseinandergesetzt hat. Seinen Meta-Analysen zufolge steigt die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Diffusion von Innovationen, wenn
- genügend Vorteile der Produktinnovation gegenüber früheren Lösungen wahrgenommen werden (Relative Advantage),
- die Innovation in den adressierten Zusammenhängen sichtbar ist (Observability),
- die Möglichkeit des Experimentierens mit ihr gegeben ist (Trialability),
- ihre initiale Nutzung als hinreichend einfach empfunden wird (Simplicity)
- und sich die ihr zugeschriebenen Eigenheiten mit den gegebenen Wertesystemen und Lebensroutinen vereinbaren lassen (Compatibility).
Keineswegs zufällig adressiert das Unternehmen Apple diese Faktoren denn auch regelmäßig in seinen aufwändig produzierten Keynotes zu neuen und existenten Produkten – und gibt sich auch in der Präsentation Apple Vision Pro alle Mühe, deren Alltagstauglichkeit zu demonstrieren. Die Interaktion mit der Außenwelt etwa soll durch Lösungen wie EyeSight wesentlich einfacher und natürlicher sein; Vision-Pro-User können Freunde und Bekannte das Gerät unkompliziert testen lassen; Tech-Blogs und Journalist:innen hatten im Vorfeld der Veröffentlichung ausgiebig Gelegenheit, sich in kontrollierten Settings mit dem neuen Produkt auseinanderzusetzen; das User-Interface ist auf unmittelbares Verständnis angelegt.
Zwei Faktoren lassen sich letztlich trotz aller Marketing-Kampagnen allerdings kaum beeinflussen: Ob durchschnittliche User genügend Vorteile gegenüber früheren Lösungen erkennen, die aus ihrer Sicht den Erwerb der sehr kostspieligen ersten oder vermutlich etwas günstigeren zweiten Generation der Apple Vision Pro rechtfertigen (Relative Advantage), und inwiefern (bzw. in welchen Situationen) die Verwendung des Headsets von den Usern und ihrem Umfeld auf lange Sicht als alltagskompatibel wahrgenommen werden wird (Compatibility).