Wahlprogramme: Universität und Wissenschaft
20. September 2013Die Bundestagswahl 2013 steht unübersehbar kurz bevor: Handelsketten und Versicherungen geben ihren Kunden ungefragt Entscheidungshilfen, an jeder Kreuzung schlagen Flaneuren und Berufspendlern die an Schlichtheit kaum zu überbietenden Wahlwerbeplakate aller Couleur entgegen – und gedankenstrich.org listet im Folgenden die Hauptaussagen zu Universität und Wissenschaft* auf, die sich in den einzelnen Wahlprogrammen der nach aktuellen Umfragen meist präferierten Parteien finden lassen (die AfD bietet kein ausformuliertes Programm an).
Hochschulfinanzierung
- CDU/CSU: »Wir wissen, dass gute Forschung Verlässlichkeit braucht: Deshalb werden wir zum einen den Pakt für Forschung und Innovation bis 2020 verlängern. […] Die erfolgreiche Exzellenzinitiative wollen wir zusammen mit der Wissenschaft weiterentwickeln und die Weichen so stellen, dass die Förderung über 2017 hinaus fortgesetzt werden kann.«
- SPD: »Gemeinsam mit den Bundesländern wollen wir auf der Grundlage neuer verfassungsrechtlicher Möglichkeiten die Grundfinanzierung der Hochschulen stärken, um durch verlässliche Finanzstrukturen vor allem die Qualität der Lehre zu verbessern. […] Ab 2014 wollen wir schrittweise aufbauend jährlich 20 Mrd. Euro mehr für Bildung investieren. Davon soll der Bund 10 Mrd. Euro bereitstellen. Die Länder sollen in ihrer eigenen finanziellen Handlungsfähigkeit so gestärkt werden, dass sie weitere 10 Mrd. Euro mehr in Bildung investieren können.«
- FDP: »Wir wollen die Grundfinanzierung der Hochschullehre künftig länderübergreifend neu organisieren und auf das Prinzip ›Geld folgt Studierenden‹ […] umstellen. […] Die Qualität der Lehre an unseren Universitäten und Hochschulen wollen wir weiter fördern. […] Auch wollen wir die Länder durch die Fortsetzung des Hochschulpaktes unterstützen.«
- Bündnis 90/Die Grünen: »Wir wollen Studienwilligen die Türen weit öffnen und jährlich 1 Mrd. Euro mehr in den Hochschulpakt stecken – für mehr Studienplätze und bessere Studienbedingungen. Wir wollen den Hochschulpakt verstetigen und zu einem dauerhaften, bedarfsgerechten System der Hochschulfinanzierung weiterentwickeln.«
- Die Linke: »Wir wollen eine bedarfsorientierte öffentliche Ausfinanzierung der Hochschulen in der Breite statt einseitiger Exzellenzförderung und ausgewählt vergebenen Drittmitteln. Nur so kann garantiert werden, dass nicht im Interesse finanzstarker Einzelinteressen und Großkonzerne sowie politischer Einzelinteressen gelehrt und geforscht wird.«
- Piraten: »Die finanzielle Bevorzugung einzelner Forschungsfelder aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit, wie zum Beispiel bei der Exzellenzinitiative, gefährdet Freiheit und Vielfalt der Forschung. […] Aus diesem Grund lehnt die Piratenpartei kurzfristige Projektförderung ab und setzt sich für eine verbesserte langfristige Sockelfinanzierung der Hochschulen ein.«
Bologna-Reform/Studium
- CDU/CSU (keine direkte Aussage zu Bologna gefunden): »Für uns ist entscheidend, dass sich unsere Hochschulen in jeder Hinsicht mit den Besten in der Welt messen können. Dazu setzen wir auf eine vielfältige Hochschullandschaft, die unterschiedlichen Anforderungen und Interessen Rechnung trägt. […] Auch die Internationalisierung der Hochschulen wollen wir weiter voranbringen. […] Dazu wollen wir englischsprachige Studienangebote sowie in internationaler Kooperation gemeinsam angebotene Studiengänge weiter ausbauen.«
- SPD: »Wir setzen uns für die Anerkennung des Bachelors als ersten berufsqualifizierenden Abschluss ein. Für uns gilt: Ein erfolgreich abgeschlossenes Bachelor-Studium ist eine allgemeine Master-Zugangsberechtigung.«
- FDP: »Lebenslanges Lernen gehört auch zu den Zielen des Bologna-Prozesses. Wir wollen dieses Ziel verfolgen, indem das Angebot an weiterbildenden Studien-gängen sowie berufsbegleitenden und Teilzeitstudiengängen gefördert wird.«
- Bündnis 90/Die Grünen: »Wir befürworten die Vision eines europäischen Hochschulraums, setzen uns aber für eine Reform der Studienreform ein. Denn sie löst ihre Versprechungen bisher nicht ein. Die Prüfungsdichte muss reduziert, die Curricula entfrachtet, die Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen verbessert, Betreuungs- und Beratungsangebote sowie die soziale Infrastruktur auf dem Campus gestärkt werden. Den Bachelor wollen wir als berufsbefähigenden Abschluss etablieren und ausreichende Studienplätze für diejenigen schaffen, die einen Master anstreben.«
- Die Linke: »Wir fordern die Abschaffung des Bologna-Systems – weg von repressiven Studienordnungen hin zu einem selbstbestimmten, interdisziplinären und kritischen Studieren.«
- Piraten: »Die Verkürzung der Studiengänge geht einher mit oberflächlichem und verschultem Lernen und einer nicht hinnehmbaren Zahl von Studienabbrechern. Die Reform war mit einem Qualitätseinbruch verbunden, ohne tatsächlich Vergleichbarkeit zu erreichen. Die Piratenpartei strebt daher eine kritische Revision des Bologna-Prozesses an.«
BAföG/Studienkosten
- CDU/CSU: »Wir wollen, dass jeder seinen Begabungen nachgehen kann und unabhängig vom Geldbeutel der Eltern eine gute Ausbildung bekommt. Deshalb werden wir die Studienfinanzierung weiter ausbauen und dazu das BAföG an die Lebenshaltungskosten sowie veränderte Bildungswege anpassen. […] Neben dem bewährten BAföG wollen wir auch Stipendien als eine gute Möglichkeit der Finanzierung und wichtigen Teil der Begabtenförderung weiter voranbringen. […] Dabei setzen wir für den weiteren Ausbau einer Stipendienkultur nicht nur auf den Staat. Auch private Förderer […] sollen verstärkt einen Beitrag leisten.«
- SPD: »Ein gebührenfreies Studium und ein starkes BAföG sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass finanzielle Gründe niemanden vom Studium abhalten. Wir wollen das BAföG bedarfsgerecht weiterentwickeln. Das Schüler-BAföG wollen wir revitalisieren. Das von der schwarz-gelben Bundesregierung eingeführte Deutschlandstipendium wollen wir auslaufen lassen und die frei werdenden Mittel zur Verbesserung des BAföG verwenden. […] Wir wollen auch die Rahmenbedingungen für das Engagement junger Menschen gezielt verbessern. Deshalb werden wir gesellschaftspolitisches Engagement in Vereinen und Verbänden bei der Bemessung der Förderzeiten im Rahmen des BAföG dem hochschulpolitischen Engagement gleichstellen.«
- FDP: »Wir wollen das Deutschlandstipendium ausbauen, für Promotionsstudierende öffnen und die Zahl der Stipendien deutlich erhöhen. […] Gleichzeitig wollen wir beim Betrag der staatlichen Stipendien die Inflation berücksichtigen, das BAföG entbürokratisieren, elternunabhängig gestalten und für Studierende mit Beeinträchtigung von der Regelstudienzeit entkoppeln.«
- Bündnis 90/Die Grünen: »Wir wollen in einem ersten Schritt die Lage von Studierenden aus einkommensschwachen Familien durch Veränderung des BAföG und eine Erhöhung um 300 Mio. Euro jährlich verbessern. […] Im nächsten Schritt werden wir eine Studienfinanzierung aufbauen, die aus zwei Säulen besteht: einem Studierendenzuschuss, den alle erhalten, und einem Bedarfszuschuss, um die für ein Studium zu gewinnen, die bislang nicht studieren. Beide Zuschüsse müssen – anders als das jetzige BAföG – nicht zurückgezahlt werden. Studiengebühren sind inzwischen bundesweit fast flächendeckend wieder abgeschafft. Wir lehnen sie weiter ab. Das Deutschlandstipendium und das Bildungssparkonto kritisieren wir.«
- Die Linke: »Das BAföG wollen wir elternunabhängig und bedarfsdeckend umbauen und die Anpassung der Höchstdauer der Zahlung an die reale durchschnittliche Studiendauer voranbringen. Zukünftig soll das BAföG wieder als Vollzuschuss gezahlt werden. Angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten setzen wir uns für eine sofortige Erhöhung um zehn Prozent inklusive einer jährlichen Anpassung und für die Abschaffung der Altersgrenzen ein. Wir kämpfen für die Einführung eines bedarfsdeckenden Studienhonorars. Über das BAföG hinaus werden Sonderbedarfe gewährt, z.B. für chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung im Rahmen der Solidarischen Gesundheitsversicherung.«
- Piraten: »Die Piratenpartei setzt sich dafür ein, die BAföG-Leistungen durch ein Bildungsgrundeinkommen zu ersetzen. Dieses Bildungsgrundeinkommen sichert das Einkommen derer, die eine Ausbildung, ein Studium oder eine Fortbildung absolvieren, aber keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben.«
Wissenschaftliche Karriere
- CDU/CSU: »Die Beschäftigungssituation von Nachwuchs-Wissenschaftlern hat sich positiv entwickelt. […] Zugleich steigen damit die Erwartungen an eine bessere Planbarkeit von wissen schaftlichen Karrieren. Hier wollen wir gemeinsam mit den Hochschulen gerade für den akademischen Mittelbau neue Akzente setzen, beispielsweise mit einem Förderprogramm für verlässliche Karrierewege an Hochschulen. Befristungen im akademischen Mittelbau wollen wir abbauen.«
- SPD: »Das Prinzip der ›Guten Arbeit‹ muss auch in Wissenschaft und Forschung gelten. Wir wollen für Tätigkeiten in Wissenschaft und Forschung mehr unbefristete Beschäftigungschancen und verlässliche Berufsperspektiven schaffen […]. Wir werden im Wissenschaftszeitvertragsgesetz Mindeststandards für Befristungen schaffen und für mehr Gestaltungsspielräume der Tarifparteien sorgen. Um den zahlreichen Nachwuchswissenschaftlerinnen […] verlässliche Karriereperspektiven zu bieten, brauchen wir zusätzliche Stellen in allen Personalkategorien: Professuren, Juniorprofessuren und akademischer Mittelbau.«
- FDP: »Wir setzen uns ein für eine Flexibilisierung der Personalstrukturen an Universitäten und einen flächendeckenden Wissenschaftstarifvertrag, der es ermöglicht, Fachkräfte in Forschung und Lehre ihren Aufgaben angemessen zu beschäftigen und attraktivere Bedingungen für den Mittelbau und den hoch qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen.«
- Bündnis 90/Die Grünen: »Wir fordern einen langfristig angelegten ›Pakt für zukunftsfähige Personalstrukturen und den wissenschaftlichen Nachwuchs‹. Dazu gehören die Veränderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, Mindeststandards für vernünftige Beschäftigungsverhältnisse und neue Personalkategorien jenseits der Professur. […] Zusätzlich wollen wir mit der Neuauflage des Juniorprofessurenprogramms 1.000 neue Juniorprofessuren mit Tenure Track initiieren. Das heißt, nach positiver Evaluation soll ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis eröffnet werden.«
- Die Linke: »Gute Wissenschaft braucht gute Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Für Daueraufgaben müssen Dauerstellen geschaffen werden. […] Befristete Arbeitsverhältnisse sollen nur für wissenschaftliche Qualifikationsprojekte und für die gesamte Dauer des Vorhabens abgeschlossen werden. Für bessere Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Mittelbau schlagen wir ein bundesfinanziertes Anschubprogramm für 100 000 unbefristete Stellen vor.«
- Piraten: »Die Piratenpartei Deutschland spricht sich dafür aus, § 2 Absatz 1 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) zu streichen. Das WissZeitVG ist so zu überarbeiten, dass befristete Verträge mit nach oben offener Laufzeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Haushalts- und Drittmittelstellen vergeben werden können, ohne eine Maximalbeschäftigungsgrenze zu benennen.«
Open Access
- CDU/CSU: »Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Kultur brauchen den Schutz geistigen Eigentums. Gleichzeitig wollen wir mit einem verlässlichen, modernen Urheberrecht den Einsatz digitaler Studienmaterialien an den Hochschulen vereinfachen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die mit staatlicher Förderung entstehen, sollen nach einer angemessenen Zeit für alle Bürger frei zugänglich werden. Dazu werden wir zusammen mit der Wissenschaft eine sogenannte ›Open-Access-Strategie‹ entwickeln.«
- SPD: »Wir wollen ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht. Wissenschaftliche Autorinnen und Autoren müssen ihre Beiträge neben der Verlagspublikation z.B. auf den Seiten der Hochschule zugänglich machen können. […] Um das kulturelle Erbe auch in Zukunft zu erhalten, muss die Digitalisierung verwaister und vergriffener Werke ermöglicht werden.«
- FDP: »Forscher und Wissenschaftler sollen weiterhin selbst entscheiden können, ob ihre Werke und Beiträge frei zugänglich sind, oder ob sie unter einer Lizenz stehen. Dies gilt auch für öffentlich geförderte Forschungsprojekte. […] Wir setzen uns jedoch bei öffentlich geförderter Forschung für Förderungsrichtlinien ein, die die Publikation der Ergebnisse grundsätzlich zum Ziel hat, soweit keine zwingenden Belange entgegenstehen.«
- Bündnis 90/Die Grünen: »Wir wollen, dass Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung rasch breit verfügbar sind, und unterstützen deshalb Open Access und Open Data im Wissenschaftsbereich, damit der Austausch innerhalb der Wissenschaft, aber auch der Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft verbessert wird. Durch öffentliche Mittel finanzierte wissenschaftliche Publikationen müssen auch frei zugänglich sein.«
- Die Linke: »Wissen, das mit Steuermitteln erarbeitet wurde, muss allen zur Verfügung stehen. Aus diesem Grunde setzen wir uns für verpflichtende Open-Access-Veröffentlichungen sowie die Zugänglichkeit von Forschungsdaten nach dem Prinzip von Open Data ein.«
- Piraten: »Die Piratenpartei setzt sich für den allgemeinen und freien Zugang zu allen aus Steuermitteln finanzierten Forschungsergebnissen ein (Open Access). Zur Förderung von Veröffentlichungen wissenschaftlicher Ergebnisse nach dem Open-Access-Modell soll als Infrastrukturmaßnahme einer allgemeinen, nicht themenbeschränkten Open-Access-Zeitschrift […] eine Anschubfinanzierung aus Bundesmitteln gewährt werden. Weiterhin soll ein Open Access-Fonds aus Bundesmitteln gebildet werden […]. Die Piratenpartei setzt sich für eine Stärkung der Eigenarchivierungsrechte von Autoren (z.B. auf Homepages der Autoren) ein.«
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* Zum Themenfeld Frauenquote/Frauenförderung in der Wissenschaft lässt sich in den angebotenen Wahlprogrammen wenig Konkretes finden: Grüne und Linke streben allgemein einen Frauenanteil von 50 Prozent an; die SPD will einen Frauenanteil von 40 Prozent in wissenschaftlichen Führungsgremien erreichen; die Piraten befürworten eine Weiterentwicklung des Gleichstellungsgesetzes sowie anonyme Bewerbungsverfahren; die Union und die FDP halten nicht viel von einem Quotenmodell, sondern wollen andere Förderungsprogramme einsetzen.