iBooks 2.0: Demokratisierung des Buchmarkts?
20. Januar 2012Gestern hat Apple zusammen mit iBooks 2.0 eine neue Mac-App namens iBooks Author vorgestellt, die das Erstellen eines interaktiven E-Books für alle iOS-Devices (iPhone, iPad etc.) ähnlich einfach macht wie die Gestaltung einer Keynote-Präsentation, zumal sich das eigene iBook dann auch gleich direkt aus dem Programm heraus im iBooks-Store zum kostenfreien Download oder (noch mit ISBN) zum Verkauf anbieten lässt.
Dieser Vorstoß ist Teil einer Strategie, die sich zum Ziel gesetzt hat, das iPad als Standard-Abrufgerät für Bildungsinhalte zu etablieren, weshalb in den USA auch schon weitreichende Kooperationen mit den entsprechenden Verlagen abgeschlossen worden sind. Langfristig aber könnten deren Rückwirkungen weit über den Bildungsbereich hinausgehen, da nicht nur die technische Produktion, sondern auch die Verteilung von E-Books erheblich erleichtert wird. Oder wie Apple selbst wirbt: »Now anyone can create stunning iBooks textbooks, cookbooks, history books, picture books, and more for iPad. All you need is an idea and a Mac.«
Der Unternehmensberater und Business-Motivator Edgar K. Geffroy geht davon aus, dass iBooks Author bzw. das dahinter liegende (und sicherlich bald nachgeahmte) Konzept den Buchmarkt »demokratisieren« wird und marktmächtige IT-Firmen wie Apple als »Türsteher« der digitalen Welt die Buchindustrie »revolutionieren« werden. Steht nun also tatsächlich eine »demokratischere Gestaltung des Marktes« an, wie sie schon 1998 vorhergesagt wurde? Mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre lassen sich folgende Pro- und Contra-Punkte finden:
- Bereits seit 1998 operiert das Unternehmen Books on Demand, über dessen Plattform sich kostengünstig und einfach Soft- und Hardcover-Bücher veröffentlichen lassen, die sich dann z.B. auch bei Amazon erwerben lassen, und bereits seit 2007 bietet Amazon in den USA seinen Direct Publishing-Service für Kindle-Books an (vgl. ausführlichen Post dazu). Die Möglichkeit für jeden Alphabeten, eigene Bücher zu veröffentlichen ohne den Kriterien etablierter Verlage entsprechen zu müssen, ist also nicht ganz neu. Mit Blick auf diese Dienste hat sich nun einerseits zwar gezeigt, dass die Werke einiger Freizeitautoren (z.B. John Locke, Susanne Reinerth, Markolf Niemz, Nele Neuhaus) über diese Kanäle tatsächlich zu Bestsellern avancieren konnten. Anderseits aber muss sich die überwiegende Mehrheit der Kindle-Direct– und Books-on-Demand-Autoren mit äußerst geringen Verkaufszahlen zufriedengeben und ein Blick auf die BoD-Bestsellerlisten zeigt, dass dies auch in der inhaltlichen Qualität dieser Bücher begründet liegt. Auch wenn Apple mit iBooks Author also die Anfertigung optisch ansprechender E-Books erheblich vereinfacht hat, müssen noch immer Inhalte erarbeitet werden, die für irgendeine Zielgruppe interessant erscheinen (und seien es nur »Trinkspiele«).
- Nichtsdestotrotz lässt sich der iBook-Store (und auch der Kindle-Store) im gewissen Sinne als eine Form demokratischerer Marktgestaltung beschreiben, da auf diesen Plattformen die Inhalte etablierter und unbekannter Anbieter in gleicher Manier bzw. auf Augenhöhe präsentiert werden. Und die Erfahrungen mit den ähnlich funktionierenden iOS-App-Stores zeigen (vgl. ausführlichen Post dazu), dass lose organisierte Freizeitprogrammierer gegenüber ausdifferenzierten Unternehmen mit ihren Apps durchaus die Nase vorn haben können, sobald sozusagen IT-Kartoffelmarkt und -Edelkaufhaus zusammengelegt werden: Um in den Apple App-Stores erfolgreich zu sein, benötigt der Erfinder (lediglich !?) eine gute Idee und die Fähigkeit zur Umsetzung – keine branchenzentralen Kontakte, keine Marketing-Abteilung und auch keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse. Die Download-Ranglisten definieren, was im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und damit wird die Selektionsmacht und -last zum Großteil auf die Nutzer verlegt.
- Auf der anderen Seite aber zeigen Beobachtungen zum Verhältnis von nutzergenerierten Inhalten im Social Web und etablierten Massenmedien, dass im Netz nach wie vor das Problem der Aufmerksamkeitsbindung besteht und der erforderliche Grad an Professionalisierung, um regelmäßig Inhalte von allgemeinem Interesse zu generieren, nicht unterschätzt werden sollte. Auf den Buchmarkt übertragen: Abgesehen von Zufallstreffern resultiert aus der Erarbeitung von neuen übergreifend interessanten oder in Teilöffentlichkeiten anschlussfähigen Inhalten ein zeitlicher und kognitiver Aufwand, der erst einmal erbracht werden will – und auch dann noch kann das Werk schlicht übersehen werden. Auch im Musikbereich treten immer wieder Überraschungshits auf, die nicht in teuren Studios produziert wurden und kein professionelles Marketing erfuhren – aber sie bleiben bislang selten und sind trotz günstigerer Produktions- und Distributionsbedingungen (z.B. via iTunes) bislang kaum zur Regel geworden.
Auch wenn sich also iBooks Author als ein weiterer Schritt in Richtung ›Demokratisierung‹ des Buchmarktes charakterisieren lässt, dann ist dies kaum gleichzusetzen mit einer zunehmenden Gleichstellung professioneller und nutzergenerierter Inhalte: Der Spiegel vermutete bereits vor gut 11 Jahren, dass »in der unendlichen Bibliothek der Zukunft [.] das vergessen geglaubte Traktat aus dem 19. Jahrhundert neben den erotischen Phantasien der Hausfrau beim Staubsaugen« stehen wird (vgl. »Das Web — Die Bibliothek zu Babel«), und zweifellos resultiert aus der Digitalisierung ein ebensolcher Qualitätssprung in Sachen Verfügbarkeit. Die eigentliche Frage aber besteht schon längst nicht mehr in der Zugriffsmöglichkeit, sondern in der Schaffung von Aufmerksamkeit bei den anvisierten Lesern, welche angesichts beständiger Zeitknappheit hinsichtlich der eigentlichen Lektüre als auch deren Auswahl ein äußerst wertvolles Gut ist. Oder wie es Christian Heller formuliert:
»Das Nadelöhr der Auswahl ist nicht mehr der Entstehung und Veröffentlichung vorgeschaltet, sondern der Lektüre.«
Darin könnte denn auch die Chance für etablierte Verlage liegen, selbst wenn E-Books zu ubiquitären ›Trägermedien‹ für Buchinhalte werden sollten (wonach es derzeit jedoch nur bedingt aussieht), denn deren Kernkompetenzen liegen seit jeher nicht nur in der Selektion, Produktion und Verteilung von Inhalten, sondern auch in der Aufmerksamkeitsschaffung und in der Bündelung eines erwartungssicheren Programms für ihre Zielgruppen (also letztlich in Komplexitätsreduktion). Diese Filterfunktion muss allerdings kontinuierlich neu ausgefüllt werden.