13. Dezember 2011
Mit Rekurs auf Luhmanns Wirtschaft der Gesellschaft hat Jörg Räwel unter Titel »Das Finanzsystem als Parasit des Wirtschaftssystems« einen Artikel zur vieldiskutierten ›Schuldenkrise‹ verfasst, der vor Augen führt, dass sich durch eine differenzierte systemtheoretische Beobachtung durchaus in pointierter Weise der berühmte Finger auf einige ›Wunden der Gesellschaft‹ legen lässt.
Zunächst referiert der Artikel Luhmanns grundsätzliche Sicht auf das Wirtschaftssystem (elementare Operationen: Zahlungen) und kommt dann auf die veränderte Rolle des Finanz(sub)systems zu sprechen:
»[A]ls sich wirtschaftliche Aktivität vorrangig auf Nationalstaaten bezog […] [kam] dem Finanzsystem [.] die Aufgabe zu, die profitable Verwertung der Verschuldung von Unternehmen zu organisieren, deren Finanzierung und Refinanzierung zu sichern. Sowohl der Staat als auch Gewerkschaften verfügten in einer primär nationalstaatlich organisierten Wirtschaft noch über genügend Macht bzw. Einflussmöglichkeiten, um für eine ausreichende Besteuerung bzw. Entlohnung weitgehend unabhängig von Verschuldungen am Finanzmarkt zu sorgen. Es waren dies die goldenen Zeiten sogenannter ›Sozialer Marktwirtschaft‹.«
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15. November 2011
Ulrich Riehm hat in in den TAB-Briefen (herausgegeben vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag) unter dem Titel »Die neuen Kleider der Demokratie. Internet und Politik« (englische Version) einen kondensierenden Artikel zu der Debatte um die sogenannte »Cyberdemokratie« veröffentlicht, die nicht erst seit dem Aufkommen des massenkompatiblen World Wide Web geführt wird.
Darin werden sowohl die technischen und politischen Entwicklungsstränge nachgezeichnet, in deren Kontext sich die Diskussion um digitale Demokratie entwickelt hat, als auch die damit verbundenen Hoffnungen bzw. Ängste sowie deren Wandel rekonstruiert (ausgehend schon von ersten Experimenten in den 1960/70er Jahren). Die Betrachtungen kommen zu folgenden Kernergebnissen:
»Das Internet ist [.] keine Hope- oder Fear-Technologie per se, sondern gestaltete und gestaltbare Technik. Ob beispielsweise eher egalitäre oder hierarchische Kommunikationsformen befördert werden, hängt von der konkreten technischen Implementierung, den jeweiligen Nutzungsweisen und der gesellschaftlichen Einbettung von Internetanwendungen ab […].
Zum Zweiten ist die Bewertung bestimmter Eigenschaften der Cyberdemokratie auch eine Frage der politischen Grundanschauungen und Interessen. Ein Vertreter der direkten Demokratie sieht gegebenenfalls in den Möglichkeiten des E-Votings eher eine Hoffnung, ein Anhänger der repräsentativen Demokratie eher eine Gefahr. Aus der Perspektive eines Bürgers ist die […] direkte Kontaktmöglichkeit […] ein Gewinn, für die Kontaktierten oft nicht mehr als eine zusätzliche Belastung.«

4. September 2011
Tobias Bevc hat einen lesenswerten Artikel zum optisch nicht mehr ganz taufrischen Online-Magazin Telepolis beigesteuert, der einige »Überlegungen zum demokratischen Potential des Web 2.0« anstellt und teilweise zu recht kruden Kommentaren (1, 2, 3) geführt hat (die hier nicht näher diskutiert werden sollen, aber im Kontext der angeschlagenen Thematik wiederum zu Denken geben).

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27. März 2011
Wir erinnern uns – Social Media als neue Mobilisierungskanäle im Wahlkampf waren 2008/2009 ein ganz großes Thema:
»Der Wahlkampf von Präsident Barack Obama hat neue Maßstäbe in der Mobilisierung von Bevölkerungsmassen gesetzt. Fundamente dieser Mobilisierung waren die pro-aktive Verwendung von Kommunikationsplattformen des Web 2.0 und das kreieren einer Marke ‘Obama’, die sich über eben diese Plattformen etablierte.«
»Obama« hatte über 3 Mio. Freunde auf Facebook (McCain: 0,6 Mio.), über 1 Mio. Bekannte auf Myspace (McCain: 0,2 Mio.) und über 100.000 Follower auf Twitter (McCain: 5000). Dass Obama 2009 zu Protokoll gab, selbst noch nie Twitter genutzt zu haben, und damit die Social-Media-Aktivitäten in seinem Namen als reine Marketing-Instrumente entlarvte, soll hier nicht erneut in aller Breite diskutiert werden (vgl. einen CARTA-Artikel). Welche Rolle aber spielten Social Media im Landtagswahlkampf 2011 in Baden-Württemberg? Weiterlesen »
28. Februar 2011
Die Qualitätsblätter dieser Republik geben sich in diesen Tagen alle Mühe, die Flammen um Guttenbergs wissenschaftliche Verfehlungen hoch zu halten – und dies vollkommen zurecht (vgl. GuttenPlag Wiki – Update: KTG ist zurückgetreten). Bei der Zusammenstellung ihrer Anzeigen (zum Teil durch Google vollautomatisiert) ist ZEIT-Online allerdings mindestens heute ein Fauxpas unterlaufen, der sich nahtlos in einen Buchreport-Beitrag zu den Werbepraktiken der Zeit-Print-Ausgabe einreiht (J. Leser: »Die Zeit wird 65 – ein Rentenbescheid«):

Diese unscheinbare Text-Anzeige, die sich via Google AdWords unter einen Artikel geschmuggelt hat (28.2.2011, 14.56 Uhr, hier der ganze Screenshot), der zwischen den Zeilen mögliche Mauscheleien schon bei Guttenbergs Zulassung als Doktorand anheim stellt, führt direkt zu einem Angebot (ehrendoktorwuerde.de), das »Klienten [ohne] abgeschlossenes Universitäts- oder Fachhochschulstudium« auf der Suche »nach einer außergewöhnlichen Ehrung« unterstützt:
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22. Oktober 2010
Luhmann wird bekanntlich mittlerweile nicht nur in den Sozialwissenschaften, sondern auch in anderen Disziplinen gerne als argumentativer Steinbruch genutzt. Überdies tauchen Kleinstfragmente seiner Sichtweise auch in journalistischen Beschreibungen zu aktuellen Entwicklungen auf. Jüngstes Beispiel sind einige Berichte zu den Irrungen, Wirrungen und Protesten um »Stuttgart 21«. Hier drei Beispiele:
FAZ.NET 20.10.2010 (Legitimation durch Verfahren): »Luhmanns Buch”Legitimation durch Verfahren” erschien 1970. Als Sigmar Gabriel 1982 sein Studium in Göttingen aufnahm […] war es ein Klassiker […]. Allzu viel ist bei Gabriel offenbar nicht hängengeblieben […]. Der alte Satz klingt bei Gabriel wie eine technokratische Variante der Obrigkeitsstaatsräson: Die Politiker regeln die Dinge unter sich. Luhmann hat indes herausgearbeitet, dass die Demokratisierung mit der Verteilung der Entscheidungserzeugung auf zwei Sorten von Verfahren, die periodisch stattfindenden Wahlen und die ununterbrochen laufende Gesetzgebung, die Hierarchie von Obrigkeit und Untertan durch eine Differenzierung der Rollen ersetzt. Zwei “Kontaktbahnen zur Politik” stehen dem Einzelnen offen. Als Wähler hat er garantierten, aber minimalen und unspezifischen Einfluss […], “über persönliche Kontakte und Interventionen, Leserbriefe und sonstige Publikationen, Petitionen, Interessenverbände, Demonstrationen und so weiter kann er seine Interessen darstellen”.«
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31. Mai 2010
Ganz klar: Ein Kapitän sollte das Schiff nicht bei hohem Wellengang verlassen, sondern muss seines Amtes zumindest walten, bis ein sicherer Hafen in Sichtweite ist. Trotzdem: Mit Horst Köhler ist übel mitgespielt worden, insbesondere in einem ZEIT-Kommentar vonKarsten Polke-Majewski. Aber das ist eine Diskussion, die hier nicht geführt werden soll.

via Wiki Commons
Interessant ist in unserem Kontext freilich etwas ganz anderes, nämlich die Chronologie der Berichterstattung zu Köhlers umstrittenen Interview:
- Am 22. Mai veröffentlicht der Deutschlandfunk eine Zusammenfassung des besagten Interviews mit unserem Bundespräsidenten (mittlerweile a.d.), allerdings ohne direkt auffindbaren Link zur entsprechenden Audio-Datei.
- Am 25. Mai berichtet “Lupe, der Satire-Blog” ausführlich über das Interview und bringt neben einem Kommentar auch ein Video mit kompletter Audiospur des Interviews. Am gleichen Tag stellt das Blog “Bundeshorst” Strafanzeige gegen Horst Köhler aufgrund der fraglichen Passagen. Kurz danach ist das Interview vieldiskutiertes Thema in der deutschsprachigen Blogosphäre.
- Erst am 27. Mai begannen die etablierten massenmedialen Kanäle wie der Spiegel über das Interview zu berichten und die Berichterstattungslawine kam ins Rollen – mit den nun allen bekannten Folgen.
Die Affäre um Horst Köhler ist damit ein perfektes Beispiel dafür, welchen Einfluss die Blogospähre auf die mediale Berichterstattung ausüben kann bzw. welchen Zeitvorsprung Social-News- und Blog-Leser im besten Falle haben…
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