Heute ist die Zukunft von gestern — Teil III
23. März 2011In der Ära von Facebook, Twitter und iPad wirkt folgendes Spiegel-Interview mit Mitch Kapor wie ein Fragment aus einer lange vergangenen Urzeit – tatsächlich ist es aber erst knapp 16 Jahre alt:
F: Wo soll denn überhaupt der Nutzen der Datenautobahn liegen?
A: […] Menschen haben ein ungeheures Bedürfnis nach Kommunikation. Sie brauchen den Kontakt zu anderen, beruflich, gesellschaftlich – auf allen Ebenen.
F: Warum brauchen Sie dafür einen Computer, wo es doch das Telefon gibt?
A: Beim Telefonieren müssen die Gesprächspartner gleichzeitig präsent sein, E-Mail funktioniert auch zeitversetzt. […] die Möglichkeit, mit entfernten Partnern zeitversetzt zu kommunizieren, hat enorme Vorteile.
Nun ist Der Spiegel ein Wochenmagazin, das die allgemeine Öffentlichkeit adressiert – und selbst 1997 verfügten erst 6 bis 7 Prozent der Deutschen über einen Internet-Zugang. Insofern erscheint es verständlich, dass der Interviewer 1995 noch eher eine kritische Haltung gegenüber dem Web eingenommen hat.
Das englischsprachige Mechanix Illustrated wagte indes schon 1968 einen beherzteren Blick in die Zukunft und notierte unter der Überschrift »40 Years in the Future«:
»The single most important item in 2008 households is the computer. These electronic brains govern everything […]. Computers [.] handle travel reservations, relay telephone messages, keep track of birthdays and anniversaries, compute taxes and even figure the monthly bills for electricity, water, telephone and other utilities. […] Money has all but disappeared. Employers deposit salary checks directly into their employees’ accounts. Credit cards are used for paying all bills. […] Computers not only keep track of money, they make spending it easier. TV-telephone shopping is common. To shop, you simply press the numbered code of a giant shopping center.«
Neben diesem relativ akkuraten Ausblick finden sich in dem Mechanix-Artikel allerdings auch vollkommen überzogene Prognosen, so etwa Zukunftsvorstellungen, welche die Allmacht der Medizin anheim stellen: »No need to worry about failing memory or intelligence either. The intelligence pill is another 21st century commodity.«
Die Balance zwischen übersteigerten Utopien und Rückwärtsgewandtheit zu finden, scheint angesichts der vielgerichteten Einflüsse unterschiedlicher Variablen also nicht ganz einfach zu sein, und dies gilt insbesondere für die gesellschaftlichen Rückwirkungen neuer Technologien. Der Spiegel-Interviewer (1995) und der Mechanix-Autor (1998) konnten sich z.B. beide kaum vorstellen, dass Computer für das alltägliche soziale Networking genutzt werden könnten. Ein Kurzfilm, der im Jahr 2000 durch das New York Comedy Film Festival ausgezeichnet wurde, führt darüber hinaus in einer Konfrontation der Technik-Utopien aus den 1950/1960er Jahren (Ton) mit der US-amerikanischen Realwelt im ausgehenden 20. Jahrhundert (Bild) vor Augen, dass sich aus technischen Fortschritten nicht zwingend positive Rückschlüsse auf das soziale Leben ziehen lassen: