Öffentliche Kommunikation: Macht zentraler Plattformbetreiber
10. Januar 2021Der Twitter-Account @realdonaldtrump wurde am 8. Januar 2021 durch die Plattform dauerhaft gesperrt. Donald Trump hat damit ein Sprachrohr verloren, das seinen Wahlkampf ab 2015 und seine Präsidentschaft ab 2017 maßgeblich mitbestimmt hat. CNN titelte treffend: »The toxic, symbiotic relationship between Trump and Twitter is finally over«.
Es sieht derzeit so aus, dass mit diesem Paukenschlag die zunehmende Zentralstellung digitaler Plattformen in der öffentlichen Kommunikation endlich das notwendige Maß an übergreifender Aufmerksamkeit erfährt, um grundsätzliche gesellschaftliche Aushandlungsprozesse um diese fundamental neue Medienform anzustoßen.
Denn: Digitale Plattformen lassen sich – und das macht ihre politische, rechtliche wie kulturelle Bearbeitung so schwierig – nicht mehr in klassische Medientaxonomien einordnen: Social-Media-Plattformen bzw. ihre betreibenden Konzerne sind keine dezidierten Medienunternehmen wie Zeitungen und Rundfunksender, die informative oder unterhaltende Angebote für den Massenmarkt produzieren und ihr Publikum mit einem definierten Spektrum an Inhalten konfrontieren. Sie sind aber auch keine neutralen kommunikationstechnischen Übertragungsdienstleister wie die Post oder ein Internetprovider, denen es de jure verboten ist, kanalisierend in die übermittelten Inhalte einzugreifen oder diese für eigene Zwecke auszuwerten.
Die Leistungen, die Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter indirekt an ihre Nutzenden verkaufen, bestehen neben der Konstitution von Kommunikationsräumen vice versa explizit in der algorithmisch automatisierten personalisierten Sammlung, Selektion und Verknüpfung von andernorts produzierten oder nutzerseitig generierten Inhalten. Tarleton Gillespie (2018: 210) beschreibt digitale Plattformen daher als eine neuartige hybride Medienform zwischen technischen Intermediären und massenmedialen Inhalteanbietern:
»In a way, those choices are the central commodity platforms sell, meant to draw users in and keep them on the platform, in exchange for advertising and personal data. […] Because of this, they are neither distinctly conduit nor content, nor only network or media, but a hybrid that has not been anticipated by information law or public debates. […] It takes years, or even decades, for a culture to adjust itself to the subtle workings of a new information system and to stop expecting from it what traditional systems provided.«
Wie viele Medienneuerungen dehnen digitale Plattformen die Möglichkeitsräume zur Informationsgewinnung sowie Kommunikation aus und könnten so schnell in Überforderung münden. Gleichzeitig bilden sich auf der Grundlage der jeweils neuen medientechnischen Architekturen regelmäßig Lösungen zur Reduktion dieser Komplexität in der individuellen wie kollektiven Weltsicht heraus. Das Novum digitaler Plattformen besteht insofern nicht in ihren strukturgebenden Leistungen per se und auch nicht in der Selbstverständlichkeit, mit der sich die meisten Onliner auf diese einlassen, sondern in dem hohen Maß der informationstechnischen Automatisierung dieser Leistungen, das zu der globalen Zentralstellung weniger plattformbetreibender IT-Konzerne beigetragen hat.
Mit der Digitalisierung geht einerseits eine Flexibilisierung bzw. Effektivierung der Mediennutzung und Kommunikation einher; andererseits werden vor diesem Hintergrund informationstechnische Strukturierungsleistungen so unabdingbar wie unvermeidbar. Jene »Macht der Hersteller«, die Heinrich Popitz (1992: 31) für die Produzenten von sachtechnischen Artefakten erkannte, lässt sich heute also auf die Anbieter dominierender digitaler Plattformen übertragen (vgl. Dolata 2015). Diese Macht zentraler Plattformbetreiber besteht neben expliziten Regelsetzungen und Moderationsleistungen in der Definition der algorithmischen Logiken und Strukturierungsfunktionen, welche die Austauschdynamiken auf der jeweiligen Plattform – und damit zunehmend auch die allgemeine öffentliche Kommunikation – substanziell prägen.
Über diese Macht, die damit einhergehende Verantwortung sowie die gesellschaftlich gewünschten bzw. einzuhegenden Strukturierungsleistungen gilt es in einer breiten politischen Debatte zu diskutieren – und dies nicht aus eingespielten Perspektiven auf klassische Medienlandschaften oder lediglich mit Blick auf eindrucksvolle Einzelfälle und Diskontinuitäten (wie die Sperrung von @realdonaldtrump), sondern vor allen Dingen mit Blick auf die alltäglichen Effekte digitaler Plattformen als soziotechnische Infrastrukturen der öffentlichen Kommunikation.