Medien in den 1950er Jahren – Teil I
22. November 2013In den 1950er Jahren wurden viele Grundsteine für die deutsche Medienlandschaft der nachkommenden Jahrzehnte gelegt (vgl. die Tabelle weiter unten): In dieser Zeit erschienen die ersten Ausgaben noch heute marktprägender Printmedien, das neue Medium des Fernsehens schickte sich an, die Wohnzimmer zu erobern, und der öffentliche Rundfunk strukturierte sich. Mögen die 1950er Jahre im allgemeinen auch als biederes Jahrzehnt gelten – in Sachen Medienentwicklung waren sie alles andere als zahnlos. Grund genug für eine Rückschau, in der es in diesem Teil zunächst um die fernsehlose Gesellschaft der beginnenden 50er Jahre geht.
In den 1950er Jahren erlangte der Hörfunk noch einmal eine beherrschende Position als Vermittlungsinstanz für Information und Unterhaltung. Bereits 1950 wurden in der BRD 7,28 Mio. angemeldete Rundfunkteilnehmer registriert, wobei sich die Verbreitungsdichte zwischen 248 angemeldeten Apparaten in der Stadt und 107 Geräten auf dem Land (je 1000 Einwohner) bewegte. Bis 1960 steigerte sich die Rundfunk-Penetration bundesweit auf über 80% der Haushalte. Ein Grund für die rasche erneute Verbreitung des Radios in der Nachkriegszeit waren die niedrigen Gerätepreise: Schon 1950 hatten die Radiogeräte das Preisniveau vor dem Zweiten Weltkrieg unterschritten. Dass alleine aber kann die hohe durchschnittliche Hördauer von knapp drei Stunden täglich während der gesamten 50er Jahre kaum erklären.
Freie Zeit war knapp gesät: Die BRD lag Anfang der 1950er Jahre hinsichtlich der Wochenarbeitszeit pro Kopf mit 45 Stunden in Westeuropa an der Spitze und auf den ersten Blick scheint eine dreistündige Radiohördauer mit solch einem Arbeitstaumel nicht vereinbar. Schildt (1999) zufolge führten allerdings gerade die extrem langen Arbeitstage in Verbindung mit den noch niedrigen Löhnen in der Freizeit der frühen 50er Jahre zu einem Rückzug ins Private, Häusliche und Familiäre, wozu der regelmäßige Radiokonsum in idealer Weise passte. Zudem existierte ein erhöhtes Informationsbedürfnis in der Bevölkerung der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Wann aber blieb an einem arbeitsreichen Tag der beginnenden 50er Jahre Zeit, um Radio zu hören? Die Tageskurven der Hörerbeteiligung für den Südwestdeutschen Rundfunk 1/1951 zeichnen diesbezüglich folgendes Bild: Werktags wurde das Radio früh morgens vor der Arbeit eingeschaltet – zwischen 6.30 und 7.30 Uhr lag die Hörerbeteiligung bei 13–17%. Mittags (12.30–13.30 Uhr) nutzten über 27% der Hörer ihr Radio. Ab 17.30 Uhr schließlich stieg die Hörerbeteiligung bis 20.30 Uhr auf über 47% an. Samstags wurde generell eine höhere Beteiligung verzeichnet, wobei zur abendlichen Unterhaltungssendung über 60% der Teilnehmer einschalteten. Sonntags lag die Hörerbeteilung zwischen 13.00 und 21.30 Uhr konstant über 23 %. Anzunehmen bleibt, dass den Radiosendungen nicht konstant Aufmerksamkeit gezollt wurde, sondern diese oft als Untermalung von häuslichen Tätigkeiten dienten.
Neben leichter Unterhaltungsmusik, Volksmusik und klassischer Musik sendeten die meisten Rundfunksender zu über 40% Wortbeiträge, worunter auch Hörspiele, politische Diskussionen, Show-Abende und Sportberichterstattungen fielen. Gerade die Sportberichterstattung (Beispiel: Radioreportage zum WM-Finale 1954) erzielte bei Spitzenereignissen ähnlich hohe Hörerquoten wie Nachrichtensendungen.
Tabelle: Einige Meilensteine der Medienentwicklung in den 1950ern
1948 | – Gründung des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) – Erstausgabe des Magazins Der Stern – Gründung des Bayerischen Rundfunks – Gründung des Hessischen Rundfunks |
1949 | – Die ersten deutschen UKW- Sender werden in Betrieb genommen – Gründung des Südwestdeutschen Rundfunks – Grundgesetz §5: Pressefreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung – Inbetriebnahme der Deutschen Presseagentur (dpa) – Die Deutsche Demokratische Republik wird ein eigenständiger Staat – Erste Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Der Deutsche Rundfunk der DDR beginnt tägliches Programm |
1950 | Konstituierende Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der BRD (ARD) |
1952 | – Erste Ausgabe der BILD-Zeitung – Einstellung der Regionalprogramme (Rundfunk) in der DDR – Erste regelmäßige Fernsehversuchssendungen in der DDR – Offizieller Beginn des NWDR-Fernsehprogramms in der BRD – Die Tagesschau geht auf Sendung |
1953 | – Fernsehgebühren in Höhe von 5 DM monatlich werden eingeführt – Beginn des regelmäßigen Programms der Deutschen Welle – Offizieller Programmstart des Deutschland Senders in der DDR |
1954 | – Teilung des NWDR. Gründung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) – Sendebeginn für den Sender Freies Berlin – Gründung der Eurovision-Kooperation |
1955 | – Ca. 100.000 angemeldete Fernsehteilnehmer in der BRD – Offizieller Sendebeginn des DDR- Fernsehens |
1956 | – Erste Ausgabe der Bild am Sonntag – Die Bravo erblickt das Licht der Welt – Beginn des Werbefernsehens im Bayerischen Rundfunk |
1957 | – Ca. 1 Millionen registrierte Fernsehteilnehmer in der BRD – Beginn der täglichen Ausstrahlung der Aktuellen Kamera in der DDR |
1958 | – Erste TV- Satellitenübertragung aus des USA – 2 Millionen angemeldete Fernseher in der BRD |
1961 | Die ARD beginnt ihr zweites Fernsehprogramm (bis zum Sendebeginn des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) am 1.4.1963) |
1962 | – Sendebeginn des Deutschlandfunks. – Spiegel-Affäre |
1963 | – Das ZDF sendet zum ersten Mal Das aktuelle Sportstudio |
Zu Beginn der 50er Jahre war neben dem Rundfunkkonsum in den eigenen vier Wänden das Kino in der BRD ein beliebtes Unterhaltungsziel: 1950 wurden 219 Mio. Filmbesucher gezählt, 1956 waren es schon 384,4 Mio. Nach Angaben der Filmwirtschaft besuchte ein Bundesbürger 1956 im Schnitt 18,3 Mal einen Kinosaal – eine Zahl, die nie zuvor und niemals wieder erreicht wurde. Und nebenbei sorgte der Spielfilm in dieser Zeit auch ein Stückweit für eine Nivellierung des klassischen cultural divide: Arbeiter wie Bildungsbürgertum sahen sich die gleichen Filme an. Worin aber fand die Kinobegeisterung in der frühen BRD ihre Begründung, zumal die Kinokarten im Verhältnis zu den Löhnen in dieser Zeit nicht gerade billig waren?
McLuhan (1964) umschrieb das Faszinosum Film folgendermaßen: »Der Film ist nicht nur großartiger Ausdruck des Mechanischen, sondern bietet paradoxerweise als Erzeugnis das zauberkräftigste alle Konsumgüter, nämlich Träume an.« – und Träume waren das, was die deutsche Bevölkerung in den Aufbaujahren benötigte: Wie schon im Dritten Reich war auch in der BRD der so genannte unpolitische Unterhaltungsfilm vorherrschend, allen voran der in seiner Art einzigartige deutsch/österreichische Heimatfilm. Solche Filme boten die Möglichkeit, aus dem Alltag zu entfliehen. Der mit Abstand populärste Kinospielfilm in der Bundesrepublik der 50er Jahre war denn auch »Grün ist die Heide« (1951): Bis 1959 sahen 19 Mio. Besucher die Förstergeschichte mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack in den Hauptrollen.
Neben der Möglichkeit, in eine heile Welt zu entfliehen, welche der Heimatfilm seinen Zuschauern bot, wurden oft auch indirekt zentrale Problemfelder der Nachkriegszeit verarbeitet. In »Grün ist die Heide« z.B. wird u.a. die Vertriebenenproblematik aufgegriffen: In einer der Finalszenen werden über drei Minuten für die Darbietung eines Trachtenchors aus dem Riesengebirge verwendet. Riess (1958) bemerkte ob solcher Szenen: »Wenn man sich die deutschen Filme jener Zeit wieder ansieht, so hat man das Gefühl, als seien nicht Millionen Menschen, sondern Millionen Mitglieder von Gesangsvereinen aus ihrer Heimat vertrieben worden«. Einen expliziteren Anspruch, Probleme der Nachkriegszeit aufzugreifen, hatten die in den 50er Jahren verbreiteten Problemfilme, die oftmals Bezug auf religiöse Grundwerte nahmen.
Neben dem Heimatfilm und dem Problemfilm war auch der Kriegsfilm ein populäres Genre im cineastischen Nexus der 50er Jahre. Aus der Retrospektive auffällig erscheint die hohe Anzahl an Produktionen, die zwar gemäßigt-distanziert die Probleme des zweiten Weltkriegs zu beschreiben suchten, die Wehrmacht und ihre Traditionen hingegen kaum in Frage stellten. Filme wie »Die Brücke« (1959), die ohne Beschönigung die »hochgeputschte Kriegsbegeisterung politischer Jugendlicher und ihr sinnloses Streben« (Klessmann 1988) vorführten, waren eher die Seltenheit. Diese Tendenz, wie auch die im Vergleich zum Dritten Reich kaum veränderte thematische Bandbreite, lässt sich nach Kochenrath (1975) auf eine kaum gebrochene Kontinuität zur Zeit vor 1945 zurückführen: »Während in den anderen Künsten versucht wurde, die Barbarei der NS- Kunst zu eliminieren […], trat der Film ungeniert das Erbe jener dunklen Zeit an. […] Die personale Verflechtung zwischen den Schöpfern des NS- Films und des westdeutschen Nachkriegsfilms ist so stark, dass man ohne Übertreibung von einer kontinuierlichen Fortführung […] sprechen kann.«
Für den Eindruck, dass die Bundesdeutschen in den 50er Jahren äußerst spezifische Unterhaltungsansprüche an das Kino knüpften, spricht auch die Beliebtheit von inländischen Produktionen in dieser Zeit: Der westdeutsche Film belegte bis Ende der 50er Jahre ca. 40% der Spieltage, während Hollywood mit etwa doppelt so vielen Filmen im Verleih nur knapp die 30% Marke erreichen konnte. Selbst der erfolgreichste Hollywood-Film in der BRD der frühen 50er Jahre (»Verdammt in alle Ewigkeit« 1953) konnte beliebten Heimatfilmen hinsichtlich der Zuschauerzahlen nicht das (Bergquell-) Wasser reichen. Im Gegensatz zu den Rundfunkhörern hatten die Kinogänger in dieser Zeit indes kaum die Möglichkeit, filmische Produkte aus der DDR zu begutachten: Bis 1954 war die Vorführung von DEFA-Filmen in der BRD untersagt. 1954 wurde zwar ein Prüf-Ausschuss eingerichtet, der nur noch politisch relevante DEFA-Filme aussortieren sollte, trotzdem kamen aber zwischen 1954 und 1988 nur höchstens 6 DEFA-Filme per anno in die bundesdeutschen Kinos.
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Kochenrath, Hans- Peter: Kontinuität im deutschen Film. In: Von Bredow, Winfried/ Zurek, Rolf (Hg.): Film und Gesellschaft in Deutschland. Hamburg 1975.
Maase, Kaspar: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970. Frankfurt a. M. 1997.
Osterland, Martin: Gesellschaftsbilder in Filmen. Eine soziologische Untersuchung des Filmangebots 1949- 1964. Stuttgart 1970.
Schildt, Axel: Massenmedien im Umbruch der fünfziger Jahre. In: Wilke, Jürgen (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1999, S. 634–648.