Luhmann @+/= Humor — Teil 2

1. April 2011

Jörg Räwel formuliert in seinem Buch »Humor als Kommunikationsmedium« (UKV 2005) die These, dass Humor in der Kommunikation die Funktion eines Sicherheitsnetzes einnehmen kann, »das Kommunikation auch dann noch ermöglicht, wenn sie schon gescheitert ist«. Gerade im Falle von Machtgefällen in der Kommunikation würden humoristische Einlagen in dem Versuch angewendet »dieser Art von Kommunikation die Härte und Schärfe zu nehmen« (z.B. der Scherz des Chefs nach der Vergabe des noch heute zu erledigenden Arbeitsauftrags kurz vor Feierabend).

Luhmann selbst sah Kommunikation als gelungenes Mittel an, um Reflexionen anzustoßen und gab 1992 zu Protokoll, in all seinen Büchern »mindestens einen Unsinn hineinzubringen«: »Ich will damit sagen, nehmt mich bitte nicht zu ernst oder versteht mich bitte nicht zu schnell.« Hier einige weitere Beispiele für Luhmanns humoristische Bandbreite (vgl. »So etwas muss sofort beseitigt werden!« – Teil 1) – wobei sich ‘Humor’ und ‘Wirklichkeit’ nicht selten die Hand reichen:

Tee (Soziale Systeme, S. 597, Danke an Sebastian Ploenges): »Man will Tee zubereiten. Das Wasser kocht noch nicht. Man muß also warten. Die Differenzen Tee/andere Getränke, Kochen/Nichtkochen, Wartenmüssen/Trinkenkönnen strukturieren die Situation, ohne daß es nötig oder auch nur hilfreich wäre, die Einheit der jeweils benutzten Differenz zu thematisieren.«

Liebe und Auto (Liebe als Passion, S. 42, Danke an S. P.): »Die Ehen werden im Himmel geschlossen, im Auto gehen sie auseinander. Denn derjenige, der am Steuer sitzt, richtet sich nach der Situation und fährt, wie er meint, auf Grund seines besten Könnens; aber der, der mitfährt und ihn beobachtet, fühlt sich durch die Fahrweise behandelt, führt sie auf Eigenschaften des Fahrers zurück. Er kann nur in einer Weise handeln, nämlich kommentieren und kritisieren; und es ist wenig wahrscheinlich, daß er dabei die Zustimmung des Fahrers findet.«

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Lebensrisiken (Die Moral der Gesellschaft): »Ferner ist aus der empirischen Forschung (aber auch im Alltagswissen) bekannt, dass bei der Wahrnehmung und der Akzeptanz ein Art ‘double standard’ gilt. Was die eigenen Entscheidungen angeht, so ist man oft extrem risikobereit: Man fährt Auto oder sogar Motorrad, man klettert auf Berge, man heiratet

Soziologie (Abschiedsvorlesung 1993: »’Was ist der Fall?’ und ‘Was steckt dahinter’?«): »Man könnte auch, in Analogie zu Kunstformen, sagen, daß die Soziologie die Gesellschaft in der Gesellschaft zu parodieren hätte. […] Sie wäre damit ihre eigene Methode. Sie wäre aber in dieser Weise ein Modell der Gesellschaft in der Gesellschaft, das über die Eigenart dieser Gesellschaft ‘in-formiert’. […] Wenn dies gelänge, hätte man eine Gesellschaft, die sich mit Hilfe der Soziologie selbst beschreibt. Und was steckt dahinter? Gar nichts!«

Witz und Gag (Soziale Systeme, S. 459): »Der Gag heiligt die Mittel – und auch das kann man noch sagen, wenn einem das Recht zur Ironie bestritten wird. (Im übrigen ist auch die Wortgeschichte von »gag« ein Beitrag zur Sache, nämlich die Entwicklung von Knebel, Mundsperre über Improvisiertes zu Scherz, ursprünglich im slang, dann mehr und mehr auch in der normalen Sprache und als Fremdwort). Witz kann solidarisierend wirken, und zwar dadurch, daß er heimliche Verständnisvoraussetzungen, also Bewußtsein in Anspruch nimmt, ohne daraus soziale Strukturen zu bilden. Eben deshalb ist dafür die Form des Einzelereignisses unerläßlich: Ein Witz muß neu sein und unwiederholbar. Er muß überraschen, darf aber nicht belehren.«