Das Web — Die Bibliothek zu Babel

4. Mai 2010

Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges veröffentlichte 1941 eine Erzählung mit dem Titel “La biblioteca de Babel” (hier als Hörbuch): Dargestellt wird eine Bibliothek aller schier möglichen Bücher, die zufällig in der Bibliothek angeordnet und äusserlich gleichförmig sind. In diesen Büchern findet sich jede mathematisch nur denkbare Kombination der 22+X Zeichen des lateinischen Alphabets.

Die Bibliothek sammelt jedes geschriebene Buch, egal ob Lüge oder Weisheit, Ehre oder Verrat, Pornographie oder Hochkultur. Menschen steifen durch die Bücherschluchten und suchen nach Bedeutung, allein den Sinn zu finden fällt den Meisten schwer. Die Bewertungspaare wahr/unwahr, Sinn/Unsinn, relevant/irrelevant führen zu blutigen Glaubenskriegen. Zu jedem “richtigen” Text existiert eine Gegentext, jeder zerstörte Text existiert milliardenfach in anderen Regalen, einzig unterscheidbar durch wenige veränderte Zeichen.

via Noelmas

Treffsicher umschreibt Borges also gut 50 Jahre vor seiner öffentlichen Geburt die Gabe und den Fluch des Webs (*1991, Berners-Lee stellt das Web vor), den Neil Postman, skeptischer Apostel einer zweiten Aufklärung, vor einigen Jahren wie folgt umschrieb:

Das Problem, das im einundzwanzigsten Jahrhundert gelöst werden muss, ist sicher nicht die Verbreitung von Information. Dieses Problem ist seit langem gelöst. Das anstehende Problem ist, wie man Information in Wissen verwandelt und wie Wissen in Erkenntnis (N. Postman: Die zweite Aufklärung. 1999, S. 124).

Und in der Tat: Verbreitung findet heute alles mögliche Private und Unprivate, Wesentliche und Unwesentliche, Interessante und gähnend Ermüdende. Zwar mögen jene Studien nicht Unrecht haben, die spätestens für 2020 davon ausgehen, dass 80% der Web-Inhalte durch die Nutzer selbst bereit gestellt würden, aber die verlieren ja auch nur wenige Worte darüber, um welche Inhalte es sich handelt. Gerade für solche Aussagen sollte man ein TÜF-Siegel einführen, dass in gewohnter Verwaltungsgenauigkeit zwischen kommunikativem Rauschen à la Facebook (“muss schon wieder zur Arbeit, aber es regnet”) und beständigen Informationsangeboten unterscheidet.

Das Problem, das die Menschen in der Bibliothek zu Babel und auch heute im Web lösen müssen, ist das Problem ein Orientierung und der Unterscheidung — das Problem der Selektion im Horizont knapper Zeit- und Aufmerksamkeitsressourcen. Und mag das Problem auch nicht so neu sein, wie es scheint (schon Luther beklagte seinerzeit, dass es angefangen habe “zu regnen mit Buechern und Meistern”), so muss doch nun wirklich jeder Onliner tagtäglich wirkungsvolle Verfahren entwickeln, um in seinen Beobachtungen das Erinnerungswerte und das Vernachlässigbare zu identifizieren. Kein Wunder also, dass die althergebrachten Auswahlinstanzen, ergo: die Massenmedien, neben Netzwerkplattformen und Suchdienstleistern im Online-Nexus noch immer die vordersten Ränge einnehmen.

Wenn Heller beschreibt, dass das Nadelöhr der Auswahl nicht mehr der Entstehung und Veröffentlichung vorgeschaltet ist, sondern der Lektüre, und seine Aussagen in einer Abwandlung von McLuhans berühmten Satz gipfeln — “die Anfrage ist die Botschaft” — dann umschreibt er damit letztlich Luhmanns Informationsbegriff, der Daten erst durch Auswahl zu individuell verwertbarer Information werden lässt, und wir könnten erkennen, dass das Internet zwar eine Bürde der Menschheit intensiviert hat, aber die Herausforderung der Selektion nicht neu heraufbeschworen hat.

Die Lösung dazu wird langfristig wohl kaum in algorithmischen Orientierungshilfen wie Google bestehen können (jedenfalls wäre das kaum wünschenswert), vielleicht aber in elaborierteren semantischen Verfahren. Ganz klar aber ist: Es macht keinen Sinn, die Bibliothek zu Babel unbeirrt und beinahe irrsinnig weiterzubauen.


Miriam Meckel: This object cannot be liked

22. April 2010

Es bleibt wenig Zeit in diesen Tagen, aber doch genügend, um auf den Mitschnitt eines sehr interessanten Vortrags hinzuweisen, der  von Miriam Meckel auf der re:publica 2010 gehalten wurde: “This object cannot be liked – über die Grenzen menschlichen Ermessen und das Ermessen menschlicher Grenzen“.

“Was geschieht, wenn Profile an die Stelle von Persönlichkeiten treten? Wenn Neigungen und Abneigungen durch Algorithmen errechnet werden? Wenn das Denken der Datenauswertung weicht? Dann überantwortet der Mensch einen wachsenden Anteil seiner selbst an den Computer und beseitigt damit ein Momentum, das Leben menschlich macht: den Zufall.”


Surfen wir 2013 primär über Mobile Devices?

17. Dezember 2009

Gartner Research prognostiziert in einer aktuellen Studie, dass 2013 mehr Menschen über mobile Geräte das Internet nutzen werden, als am heimischen PC. Zu beachten gilt hierbei jedoch, dass sich die Prognose auf die weltweite Lage bezieht, also auch die wachsende Zahl an Internetnutzern e.g. in Afrika, welche oft nur über ein Handy, nicht aber über einen Computer verfügen, in das Ergebnis hineinspielt. Zudem muss genau beobachtet werden, welche Inhalte über welche Geräte angesteuert werden.

Es bleibt also spannend…

Update: Die Studie ist nun auch in ganzer Breite abrufbar (mittlerweile kostenpflichtig). Themen: IT Ownership, Cloud Computing, Social Computing, Sustainability (Green IT),  Internet Marketing, Mobile Commerce, Context Aware Computing, User Devices.

Ok, Gartner hat sich mittlerweile entschieden, ziemlich viel Geld für die gesamte Studie zu verlangen. Aber eine ausführliche Pressemitteilung mit den Kernergebnissen der Studie ist noch immer abrufbar.


Das Delphi-Orakel zum mobilen Internetzugriff

4. Dezember 2009

Hier der Link zur diskutierten Delphi-Studie „Zukunft und Zukunftsfähigkeit der Informations- und Kommunikationstechnologien und Medien“, die auch einen Überblick zum Einsatz des Internets auf Mobile Devices gibt. Nachfolgend noch ein paar Hinweise zum Gebrauch:

Die Delphi-Methode versucht, durch ihr mehrstufiges Design, Fehleinschätzungen der Experten zu reduzieren. Dennoch lassen sich nicht alle Probleme der Expertenbefragung vermeiden: Themen bzw. Thesen müssen zunächst formuliert werden, bevor sie das Verfahren durchlaufen können. In manchen Fällen werden die Thesen zwar im Verfahren selbst erarbeitet, in der Regel sind hierzu jedoch weitere Methoden notwendig.

Die Thesen müssen kurz, prägnant, aber eindeutig formuliert sein. Dies kann ein Vorteil sein, zwingt es doch die Teilnehmer zur Konzentration auf das Wesentliche. Methodisch können aber nur bedingt komplexe Themenstellungen bewertet werden.

Experten konzentrieren sich per Definition im Wesentlichen auf ihren Expertise-Bereich. Die Interdependenzen mit anderen Entwicklungen, die v.a. bei breit angelegten Studien wichtig sind, werden häufig vernachlässigt oder müssen nachgearbeitet werden. Experten neigen dazu, die Geschwindigkeit von Entwicklungen zu überschätzen. Vor allem die Diffusionsgeschwindigkeit einer Innovation in der Gesellschaft wird schnell überschätzt.


Die Realität der Massenmedien

20. November 2009

Interessierte Einsteiger in Luhmanns Theorie können unter folgenden Links einen ersten Überblick zu den Feldern Kommunikation, Realität und Massenmedien gewinnen: