Heute ist die Zukunft von gestern VIII: »Fernlesen mit Bildschirmtext«

22. Juni 2012

Der Bildschirmtext konnte sich hierzulande in den 1980er Jahren bekanntlich nicht durchsetzen (trotz entsprechender Werbekampagnen). Anfang der 1980er Jahre aber waren die mit dem neuen Medium verknüpften Erwartungen überaus weitreichend – und nicht wenige Beobachter sahen den »Abschied von Druck und Papier« in denkbare Nähe rücken (vgl. kritisch: Spiegel 32/1980).

Der Bildschimtext als Bestandteil der »Heimkommunikationszentrale«
der 1980er Jahre (Quelle: Reichardt 1981: 99)

Im Sammelband zu einer Tagung mit dem (z.T. noch immer aktuellen) Titel »Neue Medien und alte Politik« (hg. von Hartmut Reihardt) tat indes der Journalist und Kommunikationsforscher Dietrich H. Ratzke 1981 seine »rein persönliche Meinung« zum Verhältnis von Bildschirmtext und Presse kund. Über einige seiner Eingaben lässt sich auch heute noch trefflich diskutieren, während andere dann doch zu konkret auf den Bildschirmtext ausgerichtet waren:

  • »Bildschirmtext kann Zeitung und Zeitschrift publizistisch nicht substituieren […], weil die Inhalte […] stark verkürzt werden müssen in der Darstellungsform auf dem Bildschirm. […] Der zweite Grund […] liegt in einer ganz schlichten Feststellung: Bildschirmtext ist teuer. […] Es ist also durchaus denkbar und vorstellbar, daß jemand, der sich auch nur grob informieren möchte […] zunächst einmal 2 – 3 Mark los sein wird, um überhaupt die Information heranzuholen« (104).
  • »Bildschirmtext kann Zeitungen und Zeitschriften zwar nicht substituieren, aber sehr leicht ruinieren. […] Man stelle sich einmal vor, daß alle Service-Teile […] wie Börsenkurse, Theaterprogramme, Kinoprogramme, Sporttabellen, aus der Tageszeitung abwandern und in das neue Medium Bildschirmtext übergehen würden. Die [.] noch größere Gefahr ist ohne Zweifel die Gefährdung des Anzeigenaufkommens.« (105)
  • »Bildschirmtext ist für Zeitungen und Fachzeitschriften ein besonders geeignetes Medium, um das Verlagsprogramm zu diversifizieren. […] Von Vorteil für die Zeitungen ist vor allem der enorm schnelle Vertriebsweg.[…] Letztlich läßt natürlich dieses neue System auch das zu, was wir bisher in der Zeitung als klassisches Massenkommunikationsmedium nicht konnten. Es lässt das unmittelbare Ansprechen von Interessenprofilen zu.« (106)

Angesichts der vielen kostenfreien Angebote im Web wirken heute zwar Ratzkes Ausführungen zu den Kosten für den Abruf von Informationen überholt, seine Vorhersagen zu den Gefahren und Chancen des »Fernlesens« für klassische Print-Anbieter allerdings erscheinen keineswegs abwegig. [Auch viele weitere Erwartungen, Hoffnungen und Ängste im Kontext interaktiver Medien kursierten schon in den 1970/80er Jahren in interessierten (Fach-)Öffentlichkeiten (vgl. auch: »Heute ist die Zukunft von gestern I–VII«)].

Die Deutsche Telekom warb übrigens noch 1990 mit aufwändigen TV-Spots für den Bildschirmtext, der statt der anvisierten 3,5 Mio. zu dieser Zeit lediglich knapp über 250.000 Teilnehmer bediente:

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Literatur: Ratzke, Dietrich (1981): Fernlesen mit Bildschirmtext: Konkurrenz für Zeitungen? In: Reichardt, Hartmut (Hg.): Neue Medien – Alte Politik. München: Ölschläger, S. 103–107.