»So etwas muss sofort beseitigt werden!«

19. Mai 2010

Update: vgl. Luhmann @+/= Humor — Teil 2

Niklas Luhmann wirkt für viele Beobachter etwas trocken. Neulich allerdings ist mir ein etwas älterer Betrag Martin Kruckis‘ in die Hände gefallen, der auf den ganz eigenen, oft hintergründigen Humor des ehemaligen Verwaltungswissenschaftlers hinweist, ja in ihm sogar das „antiautoriäre, ja nahezu anarchistische Potential seiner Theorie“ erkennt. Grund genug, ein paar solcher Fragmente zusammenzutragen:

Im Zusammenhang mit der Gentechnik-Debatte zum Beispiel den “Vorschlag, die Gentechniker sollten Äpfel mit den gentechnischen Merkmalen von Glühwürmchen kreuzen, damit man die Äpfel auch bei Nacht pflücken könne.” (Luhmann via NDR)

“Es ist ungewöhnlich, wenn man in einer diplomarbeit die aussage ‘alles kacke’ findet.” (Luhmann in ‘Soziale Systeme’ via Pastor Storch)

“Ohne Thesenanschlag keine Reformation, ohne Preisschildchen kein reibungsloser Verkauf […]. Bei einem Versuch, mit einer Ladeninhaberin längere Verhandlungen über den Preis einer Tafel Schokolade zu führen, habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie anstelle von Argumenten immer wieder auf das Preisschildchen verwies, auf dem der Preis deutlich sichtbar aufgeschrieben war.” (Luhmann in ‘Soziale Systeme’, S. 583)

“Wenn man Gäste hat und ihnen Wein einschenkt, wird man nicht plötzlich auf die Idee kommen, die Gläser seien unerkennbare Dinge an sich […]. Oder wenn man angerufen wird und der Mensch auf der anderen Seite des Satelliten unangenehm wird, wird man ihm nicht sagen: Was wollen Sie eigent- lich, Sie sind doch bloß ein Konstrukt des Telephongesprächs!” (Luhmann in ‘Die Realität der Massenmedien’, S. 162)

“Luhmann im Hörsaal: ‘Herr Doktor Luhmann, was verstehen sie eigentlich unter Funktion? Geben sie doch bitte einmal ein Beispiel!’ Und Luhmann, quer zum Plenum auf dem Podium an einem Tisch sitzend, blickte verdutzt auf, überlegte, starrte gebannt auf die Tischplatte, auf die er mit einer Fungerkuppe kloppfte: ‘Die Funktion’, Pause, ‘die Funktion eines Tisches ist’, längere Pause, und dann, Stakkato: ‘ist, dass man einen Kaugummi darunter kleben kann.’ Und zurück schwang er sich in die Theorie.” (Luhmann via Bardmann/Baecker: ‘Gibt es eigentlich den Berliner Zoo noch?: Erinnerungen an Niklas Luhmann’, S. 17)

Allerdings reagierte Luhmann durchaus erschrocken, als er einmal auf seine “witzigen Beispiele” angesprochen wurde: “Wo stehen sie? So etwas muss sofort beseitigt werden!” (Luhmann via Rammstedt: ‘In Memoriam: Niklas Luhmann’, S. 19)

luhmann11

Update: Ein Kommentator hat weitere Fallbeispiele zur Verfügung gestellt (danke an Kai M.). Falls noch jemand über luhmannsche Gags gestolpert ist, bitte melden!

“Und nach der Logik der Organisation werden die seltsamsten Dinge verlangt und durchgesetzt: Man muß als Arbeiter Stunde auf Stunde die gleichen Löcher bohren, muß als Patient eines Krankenhauses, obwohl krank, morgens um 6 Uhr aufwachen und Fieber messen, muß als Professor in belanglosen, fast immer folgenlosen Sitzungen Protokoll führen.” (Macht und System, in: Universitas 1977,5:473-482)

“Ich verkenne nicht, daß es für viele von uns, besonders in Notlagen, das Bedürfnis geben kann, mit Gott zu kommunizieren. Aber wozu? – wenn man ihn weder über etwas informieren kann, was er noch nicht weiß, noch erwarten kann, daß die Kommunikation ihn zu etwas motivieren könnte, was er anderenfalls nicht tun würde.” (Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? in: Soziologische Aufklärung 4 1987:231)

“Aber auch ‘Mitgliederinnen’ (wie man es zuweilen in Anreden wie ‘liebe Mitglieder und Mitgliederinnen’ schon hören kann) ist unerträglich. Was wäre der Singular? Und überhaupt: Mitglied ist, wie übrigens das Glied auch, sächlich. Es besteht also gar kein Anlass, eine Überschätzung des Männlichen abzuwehren. Wenn es dann doch schließlich geschieht, müssten die Männer schließlich verlangen, als Mitgliederer angesprochen zu werden.” (FAZ 30.09.2009:N5)


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7 Kommentare zu “»So etwas muss sofort beseitigt werden!«”

  1. kai m says:

    Au ja, da mag ich mitmachen! 🙂

    “Und nach der Logik der Organisation werden die seltsamsten Dinge verlangt und durchgesetzt: Man muß als Arbeiter Stunde auf Stunde die gleichen Löcher bohren, muß als Patient eines Krankenhauses, obwohl krank, morgens um 6 Uhr aufwachen und Fieber messen, muß als Professor in belanglosen, fast immer folgenlosen Sitzungen Protokoll führen.” (Macht und System, in: Universitas 1977,5:473-482)

    “Ich verkenne nicht, daß es für viele von uns, besonders in Notlagen, das Bedürfnis geben kann, mit Gott zu kommunizieren. Aber wozu? – wenn man ihn weder über etwas informieren kann, was er noch nicht weiß, noch erwarten kann, daß die Kommunikation ihn zu etwas motivieren könnte, was er anderenfalls nicht tun würde.” (Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? in: Soziologische Aufklärung 4 1987:231)

    “Aber auch ‘Mitgliederinnen’ (wie man es zuweilen in Anreden wie ‘liebe Mitglieder und Mitgliederinnen’ schon hören kann) ist unerträglich. Was wäre der Singular? Und überhaupt: Mitglied ist, wie übrigens das Glied auch, sächlich. Es besteht also gar kein Anlass, eine Überschätzung des Männlichen abzuwehren. Wenn es dann doch schließlich geschieht, müssten die Männer schließlich verlangen, als Mitgliederer angesprochen zu werden.” (FAZ 30.09.2009:N5)

  2. […] This post was mentioned on Twitter by systemtheorie, k m. k m said: #Luhmann Zitate bei gedankenstrich: 'So etwas muss sofort beseitigt werden!' http://bit.ly/bgyWGb […]

  3. Clemens L says:

    Luhmann hatte die Angewohnheit seinen Frust und Ärger über Institutionen oder Personen mit trockenem Humor oder auch mit Schüttelreimen nach Wilhelm-Busch-Manier abzulassen.
    Als zum Beispiel die Uni Bielefeld ihn aufforderte sämtliche Telefongespräche fortan schriftlich zu begründen, fügte er in den vorgelegten Listen hinter jeder gewählten Rufnummer ‘k.A.’ ein.
    Im nächsten Schreiben wurde er gefragt, was das denn bedeuten soll. Er antworte kurz und schlicht: k.A.

  4. Sebastian says:

    Da kann ich tatsächlich auch noch behilflich sein:

    1) Luhmann zu seinem Bedürfnis, mindestens einen „Unsinn“ in jedem seiner Bücher unterzubringen: http://sebastian-ploenges.com/blog/2009/pop/
    2) Luhmann beim Teekochen: http://sebastian-ploenges.com/blog/2009/teatime/
    3) Autofahren mit Luhmann (die Volvo-Anekdote findet sich in den Kommentaren): http://sebastian-ploenges.com/blog/2009/ehen-werden-im-himmel-geschlossen/

  5. […] zu schnell.« Hier einige weitere Beispiele für Luhmanns humoristische Bandbreite (vgl. »So etwas muss sofort beseitigt werden!« – Teil 1) – wobei sich ‘Humor’ und ‘Wirklichkeit’ nicht selten die Hand reichen: […]

  6. cyrold says:

    Noch ein kleiner Beitrag:

    “Entsprechend könnte man >Erfahrung< definieren als Fähigkeit, überraschende Informationen als 'vertraut' zu empfinden und ihnen ein Differenzschema zuordnen zu können, das ihnen einen Informationswert verleiht, mit dem man arbeiten kann. (Der Kellner hat Jeans an, man ist also im falschen Restaurant)". in Soziale Systeme, S. 104 Fn. 23

  7. […] Luhmann (u.a. Soziologe, Humorist, Zukunftsforscher) bezeichnete derartige Überzeichnungen, die sich nicht selten auch in der […]