Lektürehinweis: Apokalyptiker und Integrierte (Umberto Eco 1964/1978)

23. Februar 2016

Der kürzlich verstorbene Umberto Eco (1932–2016) hat 1964 (Originalausgabe) bzw. 1978 (deutschsprachige Ausgabe) den Band »Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur« aus einigen kleineren Studien zusammengestellt – darunter z.B. »Der Mythos von Superman«, »Die Welt von Charlie Brown« und eine karikierend ausführliche Analyse der James-Bond-Romane von Ian Fleming.

In seinem Einleitungsbeitrag beschäftigte sich Eco mit den beiden Figuren des (massen-)kulturkritischen Apokalyptikers und des Integrierten, die in abgewandelter Form nach wie vor im Diskurs um die in ihrer Entstehung begriffene digitale Gesellschaft auftreten. Nachfolgend einige kurze Passagen aus diesem Text:

eco

»Während Apokalyptiker gerade dadurch überleben, daß sie Theorien über den Zerfall ausbilden, versagen sich die Integrierten weitgehend der Theoriearbeit; sie erzeugen und übermitteln ihre Botschaften in unbefangener Leichtigkeit, tagtäglich, auf allen Ebenen. […] Doch haben wir es hier vielleicht nur mit den zwei Seiten ein und derselben Medaille zu tun? Sind die apokalyptischen Visionen möglicherweise das raffinierteste Produkt, das sich dem Massenkonsum darbietet? (15/16)

[…] Im Grunde genommen tröstet der Apokalyptiker den Leser; er lässt ihn […] die Existenz einer Gemeinschaft von ›Übermenschen‹ erahnen, die sich über die Banalität und den ›Durchschnitt‹ zu erheben vermögen […]. (16) Dem Apokalyptiker ist vorzuwerfen, daß er niemals eine konkrete Analyse der Produkte und der Formen, in denen ihr Gebrauch und Verbrauch sich abspielt, versucht. […] Statt das Massenprodukt im einzelnen zu analysieren, negiert er es, insgesamt. […] (25)

[Günther Anders] denkt über ein typisches Kommunikationsphänomen unserer Zeit nach. Wir wissen, daß er […] eine Definition dieses Phänomens gibt: Das Fernsehen reduziert die Welt auf ein Phantom, blockiert damit bei den Zuschauern jede kritische Überlegung und jede wirksame Antwort. Im Endeffekt offenbart er uns aber, welche Wirkung das Fernsehen auf ihn selbst hat. […] (26f.) Das erste, was [der Kulturkritiker] zu bezweifeln lernen muss, sind die eigenen Reaktionen, die keinen Beweis liefern. […] So verwundert es denn auch nicht, wenn der apokalyptische Kulturkritiker sich über die Vorstellung lustig macht, die Massenmedien seien Werkzeuge […] und als solche instrumentalisierbar […]. Er hat sich von Anfang an geweigert, das Werkzeug zu untersuchen […]. (32f.)

Der Aufstieg der unteren Klassen zur (formal) aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben und die Erweiterung sowohl des Informationsflusses als auch der Informationsbestände haben die neue anthropologische Situation der ›Medienzivilisation‹ hervorgebracht. Innerhalb dieser Zivilisation werden alle Angehörigen der Gemeinschaft in einem unterschiedlichen Maße zu Adressaten einer intensiven, ununterbrochenen Produktion von Botschaften, die industriell in Serie gefertigt und in den kommerziellen Kanälen eines Konsums übermittelt werden, den das Gesetz von Angebot und Nachfrage steuert. (33)

Gerade weil man diese Phänomene nicht unter eine einheitliche theoretische Formel bringen kann, muß man sie heute zum Gegenstand einer Forschung machen, […] die sich vor allem nicht scheut, edle Werkzeuge an verpönten Objekten zu gebrauchen. Einer der Einwände gegen solche Unternehmungen […] besagt, es werde ein riesiger kultureller Apparat in Bewegung gesetzt, um von Dingen zu sprechen, die geringe Bedeutung haben. Nun ist es aber gerade die Summe der geringfügigen Botschaften, die unser tägliches Leben begleiten, das auffälligste kulturelle Merkmal der Zivilisation, in der wir leben, denken und handeln müssen. (34)«