Kindle Direct Publishing: Schöne neue Welt?
21. Juni 2011Die Welt hat mit John Locke neuerdings einen weiteren Bestseller-Autor. Das Besondere: Locke arbeitet mit keinem Verlag zusammen, sondern vertreibt seine Thriller selbst – via Kindle Direct Publishing (KDP) für 99 Cent pro Buch: »All this was achieved Part time, without an agent, publicist, and at virtually no marketing expense« (vgl. e-book-news.de). Ähnlich wie der Apple-App-Store führt der Kindle eBook Store also ein Stück weit zu einer Öffnung der jeweiligen Märkte für semi-professionelle Autoren, deren Werke sich durch Nutzer- oder Leserempfehlungen unabhängig von klassischen Marketing-Prozessen verbreiten können.
Das klingt erst einmal nach einem weiteren Beleg für die radikale Veränderungskraft der neuen Medienformen: Potentiell jeder Freizeitautor kann seine Schriften nun schnell und unkompliziert verbreiten, ohne den Auswahlpräferenzen etablierter Verlage entsprechen zu müssen. Gleichzeitig allerdings zeigen sich auch die Probleme dieser neuen Freiheit: »Spam clogging Amazon’s Kindle self-publishing« (Reuters).
Ein besonders eingängiges Beispiel, zu welchen Auswüchsen die kaum vorhandene Qualitätssicherung im Kindle eBook Store führen kann, zeigt sich mit Blick auf die 350 Kindle-Bücher des Autors Heinz Duthel, der buchstäblich am Fließband »Bücher« aus Wikipedia-Artikeln und anderen Netzfragmenten zusammenkopiert, die sich in vielen Fällen auch noch ziemlich gut verkaufen – da die Käufer anhand der knappen Zusammenfassungen auf Amazon kaum nachvollziehen können, durch welche inhaltliche Qualität sich die E-Books tatsächlich auszeichnen.
Eine solche Marktöffnung des Buchmarktes durch erweiterte Möglichkeiten zur Selbstpublikation erscheint dementsprechend als ein zweischneidiges Schwert, denn in der schönen neuen KDP-Welt liegt die Selektionslast alleinig bei den Konsumenten – was unbestrittene Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringt, die bei allen Hoffnungen auf eine »Demokratisierung des Buchmarktes« nicht selten in den Hintergrund geraten, wie sich rückblickend bereits anhand der schon länger eingeführten gedruckten Books-on-Demand zeigt (vgl. »Gutenberg-Galaxis Reloaded?«):
Das Unternehmen Books on Demand (BoD) bietet auch unbekannten Autoren die Gelegenheit, ihre Bücher zu veröffentlichen – serienmäßig ohne Lektorat und Layout-Arbeiten, aber inklusive ISBN und mit Preisen ab 40 Euro im Vergleich zu Zuschussverlagen relativ günstig. Einige Autoren melden erstaunliche Verkaufserfolge, so z.B. die Tierheilpraktikerin Susanne Reinerth, die über 10.000 Exemplare ihres Buches »Natural Dog Food« verkaufen konnte, oder das Autorentrio Rossmann/Schandl/Fuchs, das mit dem Ratgeber »Die 7 Sünden beim Gründen« kurzzeitig auf die Bestseller-Liste des Manager Magazins gelangte. Ein bemerkenswertes Beispiel ist überdies das Buch »Meconomy« (Albers 2010), ein Ratgeber für Selbstständige von einem freien Journalisten, der zuvor im Campus-Verlag veröffentlicht hatte (Albers 2008) und sein aktuelles Buch nun als E-Book und als Book-on-Demand selbst vertreibt.
Die Mehrheit der Autoren muss sich jedoch mit äußerst geringen Verkaufszahlen zufriedengeben – fallweise auch im einstelligen Bereich (Stillich/Strathus 2008) – und hat es schon innerhalb des BoD-Shops schwer, Aufmerksamkeit zu erregen. Dessen Top 10 für 11/2010 (vgl. Abbildung) spricht zudem nicht unbedingt für ein qualitativ hochwertiges Programm. Allerdings wird seit 2006 mit der »Edition BoD« versucht, einen Kanal für hochwertigere Bücher zu etablieren, welcher unter der Leitung Vito von Eichborns steht, der unbekannte Autoren fördern will: »In der Mitte konkurrieren alle – an den Rändern entsteht das Neue« (Buchmarkt 2006).
Einerseits bedeutet Printing on Demand für Verlage also eine Verminderung des verlegerischen Risikos: Die Herstellungskosten, im Auflagendruck degressiv und ab ca. 1000 Exemplaren rentabel, bleiben auflagenunabhängig konstant, Handling- und Lagerungskosten entfallen weitgehend, die Kosten aus Auflagenrisiko entfallen und die Titeladministration reduziert sich auf ein Minimum. Andererseits sprechen Hagenmüller/Künzel (2009: 267) von einer »Öffnung des Buchmarktes«, da nun auch Werke jenseits des Mainstreams die Chance zur Veröffentlichung erhielten. Die Autoren nennen etwa den populärwissenschaftlichen Titel »Lucy mit c. Mit Lichtgeschwindigkeit ins Jenseits« von Markolf H. Niemz als Beispiel, der 2006 bei BoD im Selbstverlag veröffentlicht wurde und sich laut Spiegel binnen weniger Monate 14.000 Mal verkaufen konnte (Dambeck 2006), bevor Niemz’ Nachfolgebuch im Droemer/Knaur-Verlag publiziert wurde.
Dabei wird allerdings übergangen, dass Niemz im Unterschied zu anderen BoD-Autoren eine bekannte Fachautorität in der Biophysik ist. Natürlich gibt es Fälle wie z.B. die gerne referenzierte Erfolgsgeschichte von J.K. Rowling , die für eine Demokratisierung des Verlagswesens sprechen, eine übergreifende Verbreitung jedoch wird stets durch professionelle Auswahlinstanzen gekennzeichnet sein, da die Selektionslast ansonsten in Richtung der Konsumenten verschoben würde, die sich ihre Aufmerksamkeitsressourcen gerade in der heutigen Informationsgesellschaft dezidiert einteilen müssen (Schrape 2010).