Lektürehinweis: Die NSA in Entenhausen

14. Dezember 2013

Comics werden gerne belächelt – das gilt auch für die seit Jahrzehnten erscheinenden Geschichten aus dem fiktiven Ort Entenhausen. Seit einiger Zeit setzt sich die Medien(kultur)wissenschaft (z.B. Stephan Packard) zwar intensiver mit dem Phänomen Comic auseinander, aber die bebilderten Stories um Donald Duck, seine drei Neffen und seinen steinreichen Onkel Dagobert rücken nach wie vor nur selten in den allgemeinen wissenschaftlichen Aufmerksamkeitsbereich.

Insbesondere mit Blick auf die nichtintendierten Nebenfolgen technologischen Fortschritts spiegeln die bebilderten Erzählungen in verdichteter Form mithin all die mannigfaltigen utopischen wie dystopischen Erwartungen wider, die mit Neuerungen einhergehen. So muss z.B. der geniale Garagenerfinder Daniel Düsentrieb immer wieder erleben, wie seine Erfindungen in der gesellschaftlichen Praxis außerhalb seines Labors in Chaos münden oder von divergierenden Interessenlagen zermalmt werden.

Das Lustige Taschenbuch 449 hält mit »Verdächtig sicher« nun eine Comic-Parabel bereit, in der statt Daniel Düsentrieb die Firma Nasweiser, Spicker und Ausspecht (kurz: NSA) bzw. ihre ausgefuchste Überwachungstechnologie die Hauptrolle spielt…

Donald bzw. sein alter ego Phantomias, der einstmals gefeierte Superheld der Stadt, fühlt sich aufgrund der neuerdings in Entenhausen installierten flächendeckenden Kameraüberwachung zunehmend nutzlos, denn Verbrechen werden inzwischen vereitelt, bevor sie stattgefunden haben. Der Bürgermeister zeigt sich erfreut, »wie sich die Technik zum Wohle der Bürger bewährt«. »Zu meinem nicht! Und ich bin auch ein Bürger«, gibt der Gauner zu Protokoll, worauf der Ordnungshüter antwortet: »Aber kein braver. Drum wanderst du auch in den Bau.«

Wie konnte es dazu kommen? Die Firma Naseweiser, Spicker und Ausspecht (NSA) hat den Auftrag erhalten, die ganze Stadt mit einem Überwachungssystem zu überziehen, damit endlich absolute Sicherheit herrscht. Das Motto lautet »keine Heimlichkeiten«, die Bürger feiern das Projekt als »Geniestreich« und auch Onkel Dagobert hält die Überwachungskameras für »das Ei des Kolumbus«, weil er nun keine Angst mehr um sein Vermögen haben muss und selbst die Panzerknacker ehrliche Arbeit suchen. Nur Donald wittert Gefahr: »Wenn das Ei mal kein faules ist«.

Die Frage, ob die Stadt der Firma eigentlich vertrauen kann, stellt niemand – außer Donald in der Maskerade des Phantomias, der allerdings brüsk abgebügelt wird: »Die von der NSA sind seriös! Haben sie selbst gesagt!« Bald fühlen sich alle Menschen in der Stadt so sicher, dass sie auf sämtliche Alarmanlagen und Sicherheitssysteme verzichten. Am Ende deckt Donald aber natürlich – sozusagen als Comic-Version eines digitalen Whistleblowers – die dunklen Machenschaften von Naseweiser, Spicker und Ausspecht auf und verabschiedet sich mit dem Satz:

»Bewacht werden wollen die Menschen wohl, aber überwacht werden nicht!«

Das Lustige Taschenbuch (Disney) erscheint alle vier Wochen und gehört nach wie vor zu den beliebtesten regelmäßigen Comic-Veröffentlichungen unter den 6- bis 13-Jährigen in der BRD (KidsVA  2013). Dementsprechend müssen Neuerungen aus der Lebenswelt der Zielgruppe relativ rasch aufgegriffen werden, die meist entweder durch die drei Neffen Tick, Trick und Track oder bzw. Donald eingeführt werden oder durch Daniel Düsentrieb ins Absurde weitergesponnen werden.

Gleichzeitig gilt es, die Zusammenhänge auf ein verträgliches Maß herunterzubrechen und die fiktive Welt Entenhausen in sich konsistent zu halten. Das gelingt nicht in allen Fällen unfallfrei; in »Verdächtig sicher« werden indes viele zentrale Diskursstränge um die Online- bzw. Telefonüberwachung aufgegriffen und in die städtische Welt von Entenhausen transferiert – sei es die allgemeine Freude um die gesunkenen Kriminalitätsraten, der Wunsch nach umfassender Sicherheit, die Freude der Administration über die Entlastung der Stadtkasse durch das Outsourcing städtischer Aufgaben, das letztlich gefährlich-naive Vertrauen in zentralierte Strukturen, die Eigeninteressen der privatwirtschaftlichen Anbieter, der schleichende Beschnitt der Bürgerrechte, die Reinterpretation alter Heldenbilder und die Möglichkeit, die neuen technologischen Infrastrukturen zu subversiven Zwecken zu nutzen.


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Ein Kommentar zu “Lektürehinweis: Die NSA in Entenhausen”

  1. Herrlicher Artikel, super! Langsam kann man dem Thema der Datenspionage wohl nur noch auf humoreske Weise begegnen…