Gescheitere Medienrevolutionen: Bildschirmtext

1. September 2013

Vor genau 30 Jahren, am 1. September 1983, führte die Deutsche Bundespost den Bildschirmtext ein. Anlässlich dieses Jubiläums nachfolgend eine kleine Reise in die Vergangenheit (aus: Wiederkehrende Erwartungen: Visionen, Prognosen und Mythen um neue Medien seit 1970) …

Der Bildschirmtext (Btx) sollte ab 1980 [.] die »größte Informationsrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks« sowie den Abschied von Druck bzw. Papier einläuten (Spiegel 1980b: 142), für den »informierten Bürger« eine ideale Möglichkeit bieten, um »an wesentlichen Entscheidungen unmittelbar teilzunehmen« (Haefner 1984: 290) und nach Eindruck nicht weniger Beobachter zu einer bedeutsamen Konkurrenz für die klassischen Massenmedien werden (Quandel/Tonnemacher 1983; kritisch: Ratzke 1981).

Angesichts solcher Hyperbeln erscheint es kaum verwunderlich, dass sich fast alle großen massenmedialen Anbieter mit Inhalten an den Btx-Feldversuchen der frühen 1980er Jahre beteiligten, zumal eine von der Deutschen Bundespost in Auftrag gegebene Untersuchung für 1986 mit 1 Mio. und für 1989 mit über 3 Mio. Btx-Nutzern rechnete (Königshausen 1993). Eine unabhängige wissenschaftliche Begleitstudie ging zwar von einer weniger steilen Diffusionskurve aus, teilte aber die Ansicht, dass Btx auf lange Sicht zu einem Massendienst avancieren würde (Seetzen et al. 1983; Fromm 2000).

[…] Nach seiner Markteinführung ab 1983 zeigte sich freilich schnell, dass sich das Interesse der Konsumenten an dem interaktiven Bildschirmmedium jenseits einer technikaffinen Gruppe an frühen Nutzern in engen Grenzen hielt: 1986 wurden erst 58.000 Btx-Anschlüsse gezählt, obwohl das Spektrum an Inhalten mit über einer halben Millionen Btx-Seiten von 3500 Anbietern durchaus mit dem deutschsprachigen Angebot im frühen Web vergleichbar war, und auch bis 1990 konnte sich die Teilnehmerzahl lediglich auf ca. 250.000 steigern. Entgegen der Vorstellung, dass der »Bildschirmtext [.] eine mit dem Fernsehen vergleichbare Ausbreitung« erreichen würde (Kulpok 1985: 8), konnte sich Btx allenfalls auf geschäftlicher Ebene etablieren.

Aus heutiger Sicht erscheint es einerseits überraschend, dass sich der Bildschirmtext jenseits seiner frühen Nutzer nicht durchsetzen konnte, denn vordergründig bot er bereits viele der neuen Kommunikations- und Informationspotentiale, die später mit dem World Wide Web assoziiert wurden: Btx-Nutzer konnten schon in den 1980er Jahren elektronische Briefe schreiben, in Echtzeit chatten, Homebanking betreiben, Nachrichten abrufen oder in digitalen Lexika recherchieren.

Andererseits bestanden im Vergleich zum heutigen Web neben den hohen Anschaffungskosten für Modem bzw. Decoder und der geringen Bildschirmauflösung aber auch weitere schwerwiegende Einschränkungen: Die Btx-Inhalte wurden auf zentralen Servern ablegt, wer publizieren wollte, musste sich die Rechte dazu erkaufen, die Nutzer zahlten pro Seitenabruf und die Angebote waren nicht miteinander verknüpft (Spiegel 1984: 58). Anders als im Falle des Online-Dienstes Minitel, der 1982 in Frankreich eingeführt wurde und 1985 bereits 1 Mio. Anschlüsse bediente, lag die Bereitstellung der Endgeräte zudem außerhalb des Monopols der Deutschen Bundespost, weshalb der Btx-Zugriff zunächst vordringlich via Decoder über vorhandene private Fernsehgeräte erfolgen sollte (Schneider et al. 1991), was sowohl die Einrichtung als auch die regelmäßige Nutzung erschwerte.


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Ein Kommentar zu “Gescheitere Medienrevolutionen: Bildschirmtext”

  1. Anna G says:

    Is schon spassig, sich die alten Ads anzuschauen, die haben scheints wirklich daran geglaubt, dass das klappt. Wäre interessant nachzuzeic hnen, warum das in Frankreich besser funktioniert hat…